Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
239
[Art. XVI: Von der politischen Ordnung]
[Unterscheidung zwischen dem Reich Christi und den weltlichen Dingen]
131
Den sechzehnten Artikel akzeptieren die Gegner ohne jede Einschränkung. In ihm
haben wir bekannt, daß es einem Christen erlaubt ist, obrigkeitliche Aufgaben zu
übernehmen, Urteile zu fällen aufgrund von kaiserlichen oder anderen gültigen Ge-
setzen, dem Recht entsprechend Strafen zu verhängen, dem Recht entsprechend
Kriege zu führen, Kriegsdienst zu leisten, dem Recht entsprechend Geschäfte zu täti-
gen, Eigentum zu besitzen, auf Verlangen der Regierungen Eide zu leisten, eine Ehe
zu schließen. Schließlich, daß rechtmäßige weltliche Ordnungen gute Schöpfungen
Gottes und göttliche Ordnungen sind, von denen ein Christ mit Sicherheit Gebrauch
machen kann. Diese ganze Frage der Unterscheidung zwischen dem Reich Christi und
dem weltlichen Reich ist in den Schriften der Unseren nutzbringend beleuchtet
worden: Daß das Reich Christi ein geistliches Reich ist, [308] d. h. ein solches, das im
Herzen die Erkenntnis Gottes, Gottesfurcht und Glauben, ewige Gerechtigkeit und
ewiges Leben beginnen läßt, dabei aber zuläßt, daß wir nach außen die rechtmäßigen
staatlichen Ordnungen jedweder Völker, bei denen wir leben, gebrauchen, so wie es
uns auch die Heilkunst, die Baukunst, Speisen, Getränke oder Luft in Anspruch neh-
men läßt. Das Evangelium bringt auch keine neuen Gesetze für das bürgerliche Le-
ben, sondern gebietet, den gültigen Gesetzen zu gehorchen, mögen sie nun von heid-
nischen oder anderen [Gesetzgebern] stammen, und weist uns an, in diesem Gehor-
sam Liebe zu üben. Denn Karlstad
war von Sinnen, als er uns die Strafgesetze des
Mose auferlegen wollte. Von diesen Dingen haben die Unsrigen deshalb so viel ge-
schrieben, weil die Mönche viele verderbliche Meinungen in der Kirche verbreitet
haben. Sie haben die Gütergemeinschaft als evangelische politische Ordnung be-
zeichnet; sie haben behauptet, es seien [evangelische] Räte
, kein Eigentum zu ha-
ben [und] sich nicht zu rächen. Diese Behauptungen verdunkeln das Evangelium und
das geistliche Reich sehr; und sie sind gefährlich für die Staaten. Denn das Evangeli-
um löst den Staat oder die Wirtschaft nicht auf, sondern billigt sie vielmehr und ge-
bietet, ihnen nicht nur der Strafe, sondern auch des Gewissens wegen als einer göttli-
chen Ordnung zu gehorchen.
Julian Apostata
, Celsus
und die meisten anderen haben den Christen den Vor-
wurf gemacht, daß das Evangelium die Staaten zerstören würde, weil es die Vergel-
tung verbiete und bestimmte andere für das bürgerliche Zusammenleben wenig ge-
eignete Dinge überliefere. Und diese Anfragen haben Origenes, Gregor von Nazianz
und anderen erstaunlich viel Kopfzerbrechen bereitet, obwohl sie doch leicht zu klä-
ren gewesen wären, wenn wir uns bewußtmachen, daß das Evangelium keine Gesetze
138 Andreas Bodenstein von Karlstadt, ursprünglich Mitreformator in Wittenberg; nach Konflikten über Fragen der
Reformation an anderen Orten wirkend, zuletzt in Basel († 1541).
139 Die „evangelischen Räte“ (nach Worten Jesu über Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam) bildeten die Grundlage der
mönchischen Lebensform.
140 Der römische Kaiser Julian (der „Abtrünnige“; 361–363), der nach der Förderung der Kirche durch Kaiser
Konstantin und seine Söhne nochmals zu einer altrömisch-heidnischen Politik zurückzulenken versuchte.
141 Verfasser einer Schrift gegen das Christentum: „Ein wahres Wort“; Ende des 2. Jahrhunderts.