Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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ten,
wie Epiphanius in der Disputation gegen die Enkratite
deutlich zeigt, deren
Lebensform der unserer Mönche ähnlich war. Sie waren nämlich Gemeinschaften,
die sich bestimmte Traditionen auferlegten; sie enthielten sich des Weines sogar beim
Abendmahl; sie aßen kein Fleisch, nicht einmal Fisch, womit sie sogar die
Dominikaner bei weitem übertrafen. Besonders aber schreckten sie vor der Ehe zurück,
wenn auch nicht vor dem Verkehr mit Frauen. Denn dies wirft ihnen Epiphanius vor;
sie hatten nämlich Scharen junger Frauen, die dieselbe Lebensform befolgten, so wie
zu dieser Zeit die Mönche fast überall benachbarte Frauenklöster haben. Und sie
gaben vor, daß diese Übungen ein Gottesdienst seien und die Gerechtigkeit, um
derentwillen sie Gott angenehm wären [und] durch die sie Gottes Zorn besänftigten.
Diese Auffassung verwirft Epiphanius, und er zeigt, daß die Traditionen andere
Zwecke haben. Er sagt, zu billigen seien die Traditionen, die „zur Enthaltsamkeit
oder der Gemeinschaft wegen“ eingeführt worden sind, d. h. entweder zur Züchtigung
des Fleisches, zur Zucht für rohe Leute oder der staatlichen Ordnung wegen.
Und auch wir meinen, daß die Traditionen aus folgenden Gründen zu Recht beach-
tet werden können: Damit ein nüchternes Volk den heiligen Handlungen beiwohnt, so
wie Josaphat und der König von Ninive Fasten anordneten (2. Chr 20, 3; Jona 3, 7 f.).
Ebenso, damit die Ordnung und Verfassung der Kirche die Unerfahrenen darüber
belehrt, was zu welcher Zeit zu tun ist. Hierher stammen das Weihnachtsfest, Ostern,
Pfingsten und ähnliche Feste. Dies ist es, was Epiphanius sagt: Die Traditionen sei-
en um der Gemeinschaft willen eingeführt worden, nämlich der Ordnung wegen und
damit jene Ordnung die Menschen an die Geschichte und an die Wohltaten Christi
erinnert. Denn die in den Sitten und Bräuchen gleichsam gemalten Zeichen der Din-
ge belehren das Volk viel wirksamer als Geschriebenes. Es war nützlich, daß diese
Zwecke dem Volk gezeigt und verdeutlicht wurden. [CR 577] Diesen Zwecken aber
haben die Gegner in einer Art pharisäischer Überzeugung einen anderen hinzuge-
fügt, daß nämlich solche Übungen die Sündenvergebung verdienten, daß sie zur
Rechtfertigung notwendige Kulte seien, daß ihretwegen die Menschen vor Gott für
gerecht gehalten würden. Dies heißt klar: Gott mit Gold, Silber und Edelsteinen zu
ehren, zu meinen, Gott werde versöhnt durch Mannigfaltigkeit der Gewandung, der
Schmuckstücke und ähnlicher Dinge, deren es zahllose in den menschlichen Überlie-
ferungen gibt, oder derartige Dinge (die Unterscheidungen von Zeiten, Speisen, Ge-
sfäßen und Kleidern) seien Gottesdienste.
[Vernunft hält die Satzungen für notwendig, doch sie verdunkeln Gottes Gebote und
martern fromme Gewissen]
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Paulus schreibt an die Kolosser, daß die Überlieferungen einen Anschein von
Weisheit besitzen (Kol 2, 23). Und den haben sie in der Tat. Denn jene Wohlgeord-
netheit ist der Kirche sehr angemessen und deshalb auch notwendig. Doch bildet sich
die menschliche Vernunft, weil sie die Glaubensgerechtigkeit nicht versteht, von
133 Eine altkirchliche, u. a. durch Epiphanius von Salamis († 403) bekämpfte Sekte.