Die Bekenntnisschriften - page 211

Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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haupten, den zu bestimmter Zeit gemeißelten Bildern der Sternzeichen wohne eine
Kraft inne. In einem bestimmten Kloster haben wir ein Bild der seligen Jungfrau
gesehen, das sich wie von selbst
passend
bewegte, so daß es schien, als wende es sich
von den Bittenden ab oder nicke ihnen zu.
[Heiligenlegenden als Tummelplatz des Aberglaubens]
Und doch überbieten die lügenhaften Heiligengeschichten, die mit großem Anspruch
öffentlich verbreitet werden, die Mißgestalt aller Statuen und Bilder noch bei weitem.
Barbara erbittet sich unter Qualen als Lohn, daß, wer sie anruft, nicht ohne Abend-
mahl sterben soll. Ein anderer hat auf einem Fuß stehend Tag für Tag den ganzen
Psalter vorgetragen. Den Christophorus hat ein kluger Mann gemalt, um allegorisch
zu zeigen, daß eine große Geisteskraft in denen sei, die Christus tragen (d. h. das
Evangelium lehren oder bekennen), weil sie notwendig sehr große Gefahren auf sich
nehmen. Daraufhin lehrten törichte Mönche das Volk, Christophorus anzurufen, als
hätte [tatsächlich] irgendwann einmal ein solcher Polyphe
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gelebt. Und wenn die
Heiligen auch sehr große Taten vollbrachten, die entweder dem Gemeinwesen nütz-
ten oder Vorbilder für den einzelnen enthielten, deren Andenken viel zur Stärkung
des Glaubens wie auch zur Nachahmung in Taten beitragen könnte, so hat sie doch
niemand in wahren Begebenheiten ausfindig gemacht. [CR 593] Doch ist es wirklich
nützlich zu hören, wie heilige Männer Staaten verwaltet haben, welche Verhältnisse,
welche Gefahren sie auf sich nahmen, wie heilige Männer in großen Gefahren Köni-
gen zur Hilfe kamen, wie sie das Evangelium lehrten, welche Kämpfe sie mit Ketzern
bestanden haben. Nützlich sind auch Beispiele des Erbarmens, wie wenn wir sehen,
daß Petrus die Verleugnung verziehen wurde; wenn wir sehen, daß dem Cyprian
verziehen wurde, daß er ein Zauberer gewesen war
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; wenn wir sehen, daß Augusti-
nus, durch eine Krankheit auf die Probe gestellt, standhaft die Kraft des Glaubens
bezeugt, [325] weil Gott wirklich die Gebete der Glaubenden erhört. Beispiele dieser
Art, die den Glauben, die [Gottes-]Furcht oder die Verwaltung des Staates zum Inhalt
haben, hätten nutzbringend vorgetragen werden können. Statt dessen haben gewisse
Gaukler, die weder Kenntnis vom Glauben noch von der Staatsführung besaßen,
durch Nachahmung von Dichtungen Fabeln ersonnen, in denen sich nur abergläubi-
sche Beispiele für bestimmte Gebete, für bestimmte Fastenübungen finden, und man
fügte noch manches hinzu, was Gewinn versprach. Wunder dieser Art wurden auch
über den Rosenkranz und ähnliche Zeremonien ersonnen. Doch ist es nicht nötig, hier
weitere Beispiele zu nennen. Es gibt nämlich „Legenden“, wie sie es nennen, und
„Spiegel“ von Beispielen und „Rosenkränze“, bei denen das meiste den „Wahren
Erzählungen“ Lukian
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nicht unähnlich ist.
Diesen ungeheuerlichen und gottlosen Fabeln zollen Bischöfe, Theologen und
Mönche Beifall, weil sie zu ihrem Unterhalt beitragen. Uns aber, die wir (damit
159 Einäugiger Riese der griechischen Sage.
160 Cyprian, Bischof von Antiochien († 304), war der Legende nach ein bekehrter heidnischer Zauberer.
161 Lukian von Samosata, griechischer Satiriker des 2. Jahrhunderts n. Chr.
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