Das Augsburger Bekenntnis
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18. Vom freien Willen
Vom freien Willen lehren sie, daß der menschliche Wille eine gewisse Freiheit hat,
um die weltliche Gerechtigkeit zu bewirken und bei Dingen, die der Vernunft unter-
worfen sind, eine Wahl zu treffen. Aber er hat nicht die Kraft, ohne den Heiligen
Geist die
a
Gerechtigkeit Gottes oder die
aa
geistliche Gerechtigkeit zu bewirken.
Denn
b
„der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes“ (1. Kor 2, 14).
c
Sondern das geschieht in den Herzen, wenn durch das Wort der Heilige Geist emp-
fangen wird.
cc
Das sagt mit ganz den gleichen Worten Augustinus im 3. Buch Hypo-
gnosticon: „Wir bekennen, daß es einen freien Willen in allen Menschen gibt. Er be-
sitzt das Urteilsvermögen der Vernunft, ist dadurch aber nicht befähigt, in den Gott
betreffenden Dingen ohne Gott etwas zu beginnen oder sicher zu vollbringen, son-
dern kann dies nur bei den Werken des gegenwärtigen Lebens, den guten wie auch
den bösen. Mit den guten meine ich diejenigen, welche aus dem Guten der Natur er-
wachsen, das heißt: arbeiten zu wollen auf dem Felde, essen und trinken zu wollen,
einen Freund haben, Kleidung haben, ein Haus bauen, heiraten zu wollen, Vieh zu
züchten, Fertigkeit in manchen guten Dingen zu erwerben und alles Gute zu wollen,
was zum gegenwärtigen Leben gehört. Alles dies gibt es nicht ohne göttliche Leitung,
sondern es besteht und hat zu sein begonnen aus ihm und durch ihn. Mit den bösen
[Werken] meine ich solche, wie einen Götzen zu verehren, einen Mord begehen zu
wollen usw.“
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Av
a…aa
[gestrichen]
b
[Zusatz:] Paulus sagt:
c…cc
Und Christus sagt (Joh 15, 5): „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Die geistliche Gerechtig-
keit aber wird in uns gewirkt, wenn wir vom Heiligen Geist Hilfe erfahren. Nun aber empfangen
wir den Heiligen Geist, wenn wir dem Wort Gottes zustimmen, so daß wir uns durch den Glau-
ben in den Schrecken [des Gewissens] trösten, wie Paulus lehrt, wenn er sagt (Gal 3, 22): „Daß
ihr die Verheißung des Geistes empfangt durch den Glauben.“
d
[Zusatz:] Diese Sentenz Augustins lehrt klar, was dem freien Willen zuzurechnen ist, und
unterscheidet deutlich die bürgerliche Zucht oder die Betätigung der menschlichen Vernunft von
den geistlichen Regungen, der wahren [Gottes-]Furcht, Geduld, Beständigkeit, Glauben,
Anrufung [Gottes] in ganz schweren Anfechtungen, unter den Nachstellungen [CR 363] des
Teufels, in den Schrecken der Sünde. In diesen [Bedrängnissen] ist es gewiß nötig, daß wir vom
Heiligen Geist geleitet werden und Hilfe erfahren; wie Paulus (Röm 8, 26) sagt: „Der Geist hilft
unserer Schwachheit auf.“
Wir verdammen die Pelagianer und Gleichgesinnte, die lehren, daß wir ohne den Heiligen
Geist, allein durch die natürlichen Kräfte, Gott über alles lieben und das Gesetz Gottes, was die
Handlung als solche betrifft, halten können. Solche Träume weisen wir aus innerster Überzeu-
gung und notwendigerweise zurück. Denn sie breiten Dunkel über die Wohltaten Christi. Des-
halb nämlich wird uns im Evangelium Christus als der Mittler vorgestellt und die Barmher-
zigkeit verheißen, weil die menschliche Natur nicht imstande ist, dem Gesetz zu genügen. Wie
Paulus bezeugt, wenn er spricht (Röm 8, 7): „Der Sinn des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott,
weil er dem Gesetz Gottes nicht untertan ist und es auch nicht vermag.“ Obwohl nämlich die
menschliche Natur aus sich selbst heraus in gewisser Weise die äußeren Werke hervorbringen
56 Aus der unter dem Namen Augustins überlieferten Schrift eines unbekannten Verfassers: Hypomnesticon contra
Pelagianos et Coelestinos [Ermahnung gegen die Pelagianer und Cölestiner, (Buch) 3, (Kapitel) 4, 5].