Das Augsburger Bekenntnis
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Rechtfertigung, die durch die Gnade geschieht, vorangehenden Verdiensten zu ver-
danken wäre, so daß sie keine Gabe des Schenkenden, sondern ein Lohn des Wirken-
den wäre.
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[Zeugnis der Väter] Damit bringen wir kein neues Dogma in die Kirche. Denn die Schrift
überliefert diese Lehre vom Glauben an vielen Stellen, und Paulus behandelt dieses Lehrstück
besonders in einigen Briefen, und dasselbe lehren die Kirchenväter. So nämlich schreibt Ambro-
sius in der Schrift „Von der Berufung der Heiden“: „Die Erlösung durch das Blut Christi würde
gering geachtet, und es würde nicht der Anspruch menschlicher Werke der Barmherzigkeit Got-
tes unterstellt werden, wenn die Rechtfertigung, die aus Gnaden geschieht, den vorausgehenden
Verdiensten verdankt würde, so daß sie keine Gabe des Schenkenden, sondern ein Lohn des
Wirkenden wäre.“
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Auch bei Augustin gibt es viele richtige Erörterungen darüber. Dies sind seine Worte: „Durch
das Gesetz zeigt [Gott] dem Menschen seine Schwachheit, damit er durch den Glauben Zuflucht
bei seiner Barmherzigkeit nimmt und geheilt wird.
Da ist gesagt, daß Gott das Gesetz und die
Barmherzigkeit auf der Zunge trägt: das Gesetz, um Hochmütige zu Schuldigen zu machen, die
Barmherzigkeit aber, um Gedemütigte zu rechtfertigen. „Die Gerechtigkeit Gottes kommt also
durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben“ usw. (Röm 3, 22).
Auch die Synode zu Milev
schreibt: „Ist es nicht klar genug gezeigt, dies sei die Wirkung
des Gesetzes, daß man die Sünde erkennt und so gegen einen Sieg der Sünde zur göttlichen Gna-
de, die in den Verheißungen vorgestellt ist, Zuflucht nimmt, so daß man zur Befreiung die Ver-
heißungen Gottes sucht. Das bedeutet: Die Gnade Gottes ist auch der Anfang von Gerechtigkeit
im Menschen, nicht der eigenen, sondern Gottes.“
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Tröstung der Gewissen] Obgleich aber diese Lehre von Unerfahrenen verachtet
wird, erfahren doch fromme und geängstete Gewissen, [78] daß sie sehr viel Trost
bringt, weil die Gewissen nicht durch irgendwelche Werke Ruhe finden können, son-
dern nur durch den Glauben, indem sie mit Gewißheit das Urteil fällen, daß sie um
Christi willen einen versöhnten Gott haben, wie Paulus lehrt Röm. 5, 1: „Gerecht
geworden durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott.“
Diese ganze Lehre muß auf jenen Widerstreit des erschreckten Gewissens bezogen
werden und kann ohne jenen Streit nicht verstanden werden. Daher urteilen falsch
über sie die unerfahrenen und profanen Menschen, die da träumen, die christliche
Gerechtigkeit sei nichts anderes als eine weltliche oder philosophische Gerechtigkeit.
Vorzeiten wurden die Gewissen durch die Werke-Lehre gequält und vernahmen
nicht den Trost aus dem Evangelium. Manche trieb das Gewissen in die Wüste, in die
Klöster, weil sie hofften, sie würden dort durch ihr mönchisches Leben die Gnade
verdienen. Andere erdachten sich andere Werke, um Gnade und Genugtuung für die
Sünden zu verdienen. Deshalb war es überaus notwendig, diese Lehre vom Glauben
an Christus zu verbreiten und zu erneuern, damit nicht den angstvollen Gewissen der
Trost fehle, [79] sondern sie wissen sollten, daß durch den Glauben an Christus die
Gnade und Sündenvergebung ergriffen wird.
61 Aus: De vocatione gentium (im Mittelalter Ambrosius zugeschrieben), 1, 17.
62 Augustin: De spiritu et litera [Vom Geist und vom Buchstaben], Kap. 9.
63 In Mileve (Numidien) wurde 416 die pelagianische Lehre verurteilt.