Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
295
ein Gottesdienst, sich selbst zu töten und den Leib zu verlassen ohne Gottes Gebot.
Genauso ist es lächerlich zu meinen, es sei ein Gottesdienst, Besitz, Freunde, Ehe-
frau, Kinder zu verlassen ohne Gottes Gebot.
Es steht also fest, daß das Christuswort zu Unrecht auf das mönchische Leben be-
zogen wird. Außer, daß vielleicht dies paßt, daß sie in diesem Leben ein Hundertfa-
ches erhalten. Denn die meisten werden Mönche nicht des Evangeliums, sondern der
Küche und der Muße wegen, und sie finden anstelle eines dürftigen väterlichen Erbes
überaus reiche Schätze. [391] Wie aber die ganze Möncherei voller Täuschung ist, so
zitieren sie [auch] die Schriftzeugnisse unter einem falschen Vorwand, so daß sie
zweifach sündigen: Das heißt, sie täuschen die Menschen, und sie täuschen sie unter
dem Vorwand des göttlichen Namens.
Es wird auch eine andere Stelle über die Vollkommenheit zitiert: „Willst du voll-
kommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen; und komm und
folge mir nach“ (Mt 19, 21). Dieses Wort hat vielen zu schaffen gemacht, die sich
einbildeten, es sei die Vollkommenheit, seinen Besitz und seine Verfügungsgewalt über
die Dinge preiszugeben. Lassen wir die Philosophen den Aristipp preisen, der eine gro-
ße Menge Goldes ins Meer warf!
Solche Beispiele haben nichts mit christlicher
Vollkommenheit zu tun. Die Verteilung der Dinge, die Verfügungsgewalt darüber und
der Besitz sind weltliche Ordnungen, die durch Gottes Wort bestätigt wurden in dem
Gebot: „Du sollst nicht stehlen!“ (2. Mose 20, 15). Das Aufgeben des Vermögens hat
kein Gebot oder einen Rat in der Schrift. Denn die evangelische Armut besteht nicht im
Aufgeben der Dinge, sondern darin, nicht habgierig zu sein, nicht auf Reichtümer zu
vertrauen, so wie auch David arm war inmitten eines sehr wohlhabenden Reiches.
Darum: Weil das Aufgeben der Güter eine rein menschliche Satzung ist, ist es ein
nutzloser Gottesdienst. Und maßlos sind jene Lobreden in den Extravagante
, die
behaupten, der Verzicht auf jegliches Eigentum um Gottes willen sei verdienstlich,
heilig und ein Weg zur Vollkommenheit. Es ist höchst gefährlich, etwas, das dem
weltlichen Brauch widerstreitet, [CR 637] mit so maßlosem Lob zu rühmen. Aber
Christus spricht hier [doch] von Vollkommenheit (Mt 19, 21)? Nein, sie tun dem Text
Unrecht, weil sie [ihn] verkürzt zitieren. Die Vollkommenheit liegt in dem, was
Christus hinzufügt: „Folge mir nach!“ Das Beispiel des Gehorsams ist bei einer Beru-
fung genannt worden. Und weil Berufungen unterschiedlich sind, so ist diese Beru-
fung auch nicht die Sache aller, sondern bezieht sich im besonderen [392] auf jene
Person, mit der Christus dort spricht, so wie die Berufung Davids zur Herrschaft
[und] Abrahams zur Schlachtung des Sohnes nicht von uns nachgeahmt werden sol-
len. Berufungen sind personenbezogen, wie auch die Aufgaben selbst mit den Zeiten
und Personen wechseln; aber das Beispiel des Gehorsams ist allgemeingültig. Für
jenen jungen Mann wäre es die Vollkommenheit gewesen, wenn er dieser Berufung
geglaubt und gehorcht hätte. So besteht für uns die Vollkommenheit darin, daß jeder
in wahrem Glauben seiner Berufung gehorcht.
221 Aristipp war der Gründer der Schule der Hedoniker (4./5. Jahrhundert v. Chr.). Er warf sein Gold allerdings nur
deshalb ins Meer, weil er es nicht Seeräubern in die Hände fallen lassen wollte.
222 Spätmittelalterliche Sammlung päpstlicher Dekretalen.