Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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dem begegnen kann, der mit Zwanzigtausend auf ihn zukommt.
Da wir aber auch
durch die Werke des göttlichen Gesetzes nicht die Sündenvergebung [CR 634] oder
das ewige Leben verdienen, sondern es nötig ist, die in Christus verheißene Barmher-
zigkeit zu suchen: Um wieviel weniger darf [dann erst] den mönchischen Übungen,
da sie doch bloße menschliche Satzungen sind, diese Ehre zugeschrieben werden
[388], daß sie Vergebung der Sünden oder das ewige Leben verdienen.
So verschütten diejenigen einfach das Evangelium von der umsonst geschenkten
Sündenvergebung und der zu ergreifenden, in Christus verheißenen Barmherzigkeit,
die lehren, daß das mönchische Leben die Sündenvergebung oder das ewige Leben
verdiene, und die das Christus geschuldete Vertrauen auf jene törichten Übungen
übertragen. An Christi Stelle verehren sie ihre Kutten, ihren Schmutz. Obwohl sie
aber auch selbst der Barmherzigkeit bedürfen, handeln sie [in der Weise] gottlos, daß
sie überschüssige Verdienste erdichten und diese [dann] anderen verkaufen.
Wir sprechen hier kürzer von diesen Dingen, weil aufgrund dessen, was wir oben
über die Rechtfertigung, die Buße und die menschlichen Überlieferungen gesagt ha-
ben, hinreichend feststeht, daß die mönchischen Gelübde kein Preis sind, für den
Sündenvergebung und ewiges Leben gegeben werden. Und da Christus die Überliefe-
rungen „unnütze Gottesdienste“ nennt (Mt 15, 9), sind sie auf keine Weise die evan-
gelische Vollkommenheit.
[Zur Rede vom Mönchtum als „Stand der Vollkommenheit“ bzw. „des Strebens nach
Vollkommenheit“]
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Die Gegner aber wollen listig den Anschein erwecken, als schränkten sie die im Volk
verbreitete Auffassung von der Vollkommenheit ein. Sie stellen in Abrede, daß das
mönchische Leben die Vollkommenheit sei, sagen aber, es sei ein Stand zur Errei-
chung der Vollkommenheit. Das ist hübsch gesagt, und wir erinnern uns, daß sich
diese Korrektur [auch schon] bei Gerson findet.
Denn es ist offenkundig, daß kluge
Männer, die an jenen maßlosen Lobsprüchen auf das mönchische Leben Anstoß
nahmen, ihm, da sie es nicht wagten, ihm das Lob der Vollkommenheit zu nehmen,
diese Berichtigung hinzufügten, daß es ein Stand zur Erreichung der Vollkommenheit
sei. Wenn wir dem folgen, wird der Mönchsstand um nichts vollkommener sein als
das Leben eines [389] Bauern oder Handwerkers. Denn diese sind auch Stände zur
Erreichung der Vollkommenheit. Denn alle Menschen in jeglichem Beruf sollen nach
der Vollkommenheit streben, d. h. wachsen in der Furcht Gottes, im Glauben, in der
Liebe zum Nächsten und ähnlichen geistlichen Tugenden.
Es finden sich in den Geschichten der Einsiedler (des Antonius und anderer) Bei-
spiele, die die Lebensweisen einander gleichstellen. Es steht geschrieben, daß Anto-
niu
, als er bat, Gott möge ihm zeigen, welche Fortschritte er in dieser Lebenswei-
218 Bernhard von Clairvaux, Predigt zum Tag der Verkündigung der seligen Jungfrau, Kap. 1, 2 (vgl. Lk 14, 31).
219 Gerson, Von den evangelischen Räten und vom Stand der Vollkommenheit.
220 Altkirchlicher Asket († um 356).