Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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[Art. XXVII:] Von den Klostergelübden
[Die Prophetie des Franziskaners Johannes Hilten: Niedergang des Mönchtums]
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Vor 30 Jahren war bei uns in der thüringischen Stadt Eisenach ein Franziskaner, Jo-
hannes Hilte
, der von seinem Orden in den Kerker geworfen wurde, [CR 628]
weil er bestimmte allgemein bekannte Mißbräuche getadelt hatte. Wir haben nämlich
seine Schriften gesehen, aus denen hinreichend zu ersehen ist, welcher Art seine Leh-
re war. Und die ihn gekannt haben, bezeugen, daß er ein gütiger alter Mann war,
ernsthaft, ohne Eigensinn. Er hat vieles vorausgesagt, was zum Teil schon eingetrof-
fen ist, zum Teil noch bevorzustehen scheint. Wir wollen es jetzt nicht aufzählen,
damit es niemand so auslegt, als würde es aus Haß auf jemanden oder jemand zu
Gefallen erzählt. Schließlich aber, als er wegen des Alters oder wegen des Schmutzes
des Kerkers krank geworden war, bat er den Guardian zu sich, um ihm sein Befinden
zu zeigen. Als aber der Guardian, brennend vor pharisäischem Haß, [378] den Men-
schen wegen seiner Lehrweise, die die [Kloster-]Küche zu beeinträchtigen schien,
scharf zu tadeln begann, da sagte dieser seufzend, ohne seine Krankheit zu erwähnen,
er erdulde diese Schmähungen ruhigen Herzens um Christi willen, da er fürwahr
nichts geschrieben oder gelehrt habe, was den Mönchsstand erschüttern könne; er
habe nur einige bekannte Mißstände getadelt. „Aber ein anderer“, sagte er, „wird im
Jahre des Herrn 1516 kommen, der wird euch vernichten, und ihm werdet ihr nicht
widerstehen können.“ Diesen seinen Ausspruch über den Verfall der Mönchsherr-
schaft und diese Jahreszahl haben später auch seine Freunde gefunden, niederge-
schrieben von ihm selbst in seinen Kommentaren unter den Anmerkungen, die er zu
bestimmten Stellen des Danielbuches hinterlassen hatte
Obwohl aber erst die Zukunft lehren wird, was man von diesem Wort zu halten hat,
gibt es doch andere Zeichen, die den Sturz der Mönchsherrschaft androhen und nicht
weniger gewiß sind als Orakel. Denn es ist bekannt, wie groß in den Klöstern die
Heuchelei des Ehrgeizes und der Habsucht ist, welche Unwissenheit und welches
Wüten gerade ganz ungebildeter [Mönche] es gibt, wieviel leeres Geschwätz in den
Predigten, beim Ersinnen von immer neuen Jagden nach Geld. Und es gibt noch an-
dere Laster, die man hier besser nicht erwähnt. Obwohl sie einst Schulen der christli-
chen Lehre waren, sind sie jetzt entartet, wie vom goldenen zum eisernen Zustand
oder wie der platonische Würfel zu Disharmonien entartet, von denen Plato sagt, daß
sie das Ende bringen
Manche sehr reiche Klöster ernähren nur einen müßigen
Haufen, der dort unter dem falschen Vorwand der Frömmigkeit die öffentlichen Al-
mosen der Kirche verpraßt. Christus aber lehrt vom tauben Salz, daß es weggeschüt-
tet und zertreten zu werden pflegt (Mt 5, 13). Daher sagen sich die Mönche durch
diese Sitten selbst ihr Geschick voraus. Und jetzt kommt ein anderes Zeichen hinzu:
203 Johannes Hilten († etwa 1500) wurde seit 1477 wegen seiner apokalyptischen Prophezeiungen in den Klöstern
zu Weimar und Eisenach in schwerer Haft gehalten und starb, ohne Widerruf geleistet zu haben. Luther hatte
bereits in jungen Jahren von seinem Schicksal erfahren.
204 Melanchthon hatte Hiltens Danielkommentar gelesen und exzerpiert.
205 Wohl nach einer Platon zugeschriebenen Schrift des Pythagoreers Timaios von Lokroi.