Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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[Das Keuschheitsgelübde ist ohne die Gabe der Enthaltsamkeit ungültig]
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Drittens. In den Mönchsgelübden wird Keuschheit versprochen. Wir haben aber oben
[im Artikel] von der Priesterehe gesagt, daß das Recht der Natur in den Menschen
nicht durch Gelübde oder Gesetze aufgehoben werden kann
Und weil nicht alle
die Gabe der Enthaltsamkeit haben, „enthalten“ sich viele ihrer Schwäche wegen
unheilvoll. Doch können weder Gelübde noch irgendwelche Gesetze das Gebot des
Heiligen Geistes aufheben: „Um Unzucht zu vermeiden, soll jeder seine eigene Frau
haben“ (1. Kor 7, 2). Daher ist dieses Gelübde nicht zulässig für die, die die Gabe der
Enthaltsamkeit nicht haben, sondern sich ihrer Schwäche wegen beflecken. Über
diese ganze Frage ist oben genug gesagt worden. Im Hinblick darauf ist es fürwahr
erstaunlich, daß die Gegner, obwohl sie die Gefahren und Ärgernisse vor Augen ha-
ben, dennoch ihre Satzungen gegen das offenbare Gebot Gottes verteidigen. Auch
rührt sie nicht das Wort Christi, der die Pharisäer tadelt, die Satzungen gegen das
Gebot Gottes aufgestellt hatten (Mt 15, 6).
[Gottlose Kulte in den Klöstern sowie nicht-freiwillige Gelübde entbinden die Mön-
che von ihrer Lebensform]
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Viertens. Gottlose Kulte entbinden diejenigen, die in den Klöstern leben [von dieser
Lebensform]. Solche Kulte sind: die Entweihung der den Toten zugewendeten Messe
zu einem Geschäft, die Heiligenkulte, in denen die doppelte Sünde liegt, daß die
Heiligen an die Stelle Christi gesetzt werden und daß sie gottlos verehrt werden, so
wie die Dominikaner das Rosenkranzgebet der seligen Jungfrau erfunden haben
,
das eine bloße Plapperei ist, die ebenso töricht wie gottlos ist und ein völlig unbe-
gründetes Vertrauen nährt. Ferner werden eben diese Gottlosigkeiten nur zur Berei-
cherung verwandt. [CR 638] [393] Ebenso: Das Evangelium von der um Christi will-
len geschenkten Sündenvergebung, von der Glaubensgerechtigkeit, der wahren Buße,
von den Werken, die Gottes Gebot für sich haben, hören sie weder, noch lehren sie es.
Sondern sie befassen sich entweder mit philosophischen Debatten oder mit Be-
stimmungen über Zeremonien, die Christus in Vergessenheit bringen.
Wir reden hier nicht von jenem ganzen Kult der Zeremonien, von den Lesungen,
vom Gesang und ähnlichen Dingen, die zu ertragen wären, wenn man sie für Übun-
gen hielte, wie die Lesungen in den Schulen, deren Zweck es ist, die Zuhörer zu be-
lehren und im Verlauf des Lehrens einige zur Furcht [Gottes] oder zum Glauben zu
bewegen. Aber sie geben jetzt vor, diese Zeremonien seien Gottesdienste, die ihnen
selbst und anderen die Sündenvergebung verdienen. Deshalb nämlich vermehren sie
diese Zeremonien. Wenn sie es aber auf sich nehmen würden, die Zuhörer zu beleh-
ren und zu ermahnen, so würden kurze und treffende Lesungen nützlicher sein als
jene endlosen Schwätzereien. So ist das ganze mönchische Leben voll von Heuchelei
und falschen Vorstellungen. Zu dem allem kommt noch diese Gefahr, daß diejenigen,
223 S. o. Nr. 149.
224 Das im Spätmittelalter aufgekommene Rosenkranzgebet. Die Dominikaner förderten es besonders. Ihre Legende
führte es später auf eine Marienvision des Dominikus zurück (so seit Mitte des 15. Jahrhunderts).