Die Bekenntnisschriften - page 389

Der Große Katechismus
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Darüber hinaus soll uns auch locken und anziehen, daß Gott neben dem Gebot und
der Verheißung uns zuvorkommt und selbst die Worte und Weise aufstellt und uns
in den Mund legt, wie und was wir beten sollen, damit wir sehen, wie herzlich er
sich unserer Not annimmt, und ja nicht daran zweifeln, daß ihm solches Gebet ge-
fällt und es gewiß erhört wird. Dies ist ein sehr großer Vorteil vor allen anderen
Gebeten, die wir uns selbst ausdenken könnten. Denn da würde das Gewissen im-
mer im Zweifel stehen und sagen: „Ich habe gebetet, aber wer weiß, wie es ihm
gefällt oder ob ich das rechte Maß und die rechte Weise getroffen habe?“ Darum ist
auf Erden kein edleres Gebet zu finden, weil es solch vortreffliches Zeugnis dafür
hat, daß Gott es herzlich gerne hört. Dafür sollten wir nicht das Gut der [ganzen]
Welt nehmen.
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Und auch darum ist es so vorgeschrieben, daß wir die Not sehen und bedenken, die
uns dringen und zwingen soll, unaufhörlich zu beten. Denn wer da bitten will, der
muß etwas bringen, vortragen und nennen, was er wünscht, wenn nicht, so kann es
kein Gebet genannt werden. Darum haben wir zu Recht die Gebete der Mönche und
Pfaffen verworfen, die Tag und Nacht gewaltig heulen und murmeln, aber keiner von
ihnen denkt daran, auch nur um die Breite eines Haares zu bitten. Und wenn man alle
Kirchen samt den Geistlichen zusammenbrächte, so müßten sie bekennen, daß sie
noch nie von Herzen um ein Tröpfchen Wein gebeten haben. Denn keiner von ihnen
hat im Gehorsam gegen Gott und im Glauben an die Verheißung sich vorgenommen
zu beten, auch keine Not dabei im Blick gehabt, sondern sie haben im besten Fall
nicht weiter gedacht, als daß sie damit ein gutes Werk tun, um Gott zu bezahlen, weil
sie nicht von ihm nehmen, sondern nur ihm geben wollten.
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Wo aber ein rechtes Beten sein soll, da muß ein Ernst sein, daß man seine Not fühlt,
und zwar eine Not, die uns drückt und treibt zu rufen und zu schreien. So geht denn
das Beten von selbst, wie es gehen soll, so daß man keine Belehrung braucht, wie
man sich dazu vorbereiten und Andacht schöpfen soll. Die Not aber, die uns sowohl
für uns als auch für jedermann bewegen sollte, wirst du reichlich genug im Vaterun-
ser finden. Darum soll es auch dazu dienen, daß man sich an sie daraus erinnere, sie
betrachte und sich zu Herzen nehme, damit wir nicht nachlässig werden zu beten.
Denn wir haben alle genug dessen, was uns mangelt, aber es fehlt daran, daß wir es
weder fühlen noch sehen. Darum will auch Gott, daß du solche Not und Anliegen
klagst und zur Sprache bringst, nicht etwa weil er es nicht wüßte, sondern damit du
dein Herz entzündest, desto stärker und mehr zu begehren, und nur den Mantel weit
ausbreitest und auftust, um viel zu empfangen.
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Darum sollten wir uns von Jugend auf daran gewöhnen, täglich zu beten, ein jeder für
alle seine Not, wo immer er etwas fühlt, das ihn trifft, und auch für anderer Leute
Nöte, unter welchen er lebt, wie für Prediger, Obrigkeit, Nachbarn und Dienstleute.
Und man soll immer (wie gesagt) Gott sein Gebot und seine Verheißung vorhalten
und wissen, daß er es nicht verachtet haben will. Das sage ich deshalb, weil ich gerne
wollte, daß man solches wieder unter die Leute brächte, damit sie recht beten lernten
und nicht so roh und kalt hingehen, wovon sie im Beten täglich ungeschickter wer-
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