Die Bekenntnisschriften - page 397

Der Große Katechismus
106
192
Siehe, so will uns Gott zeigen, wie er sich all unserer Not annimmt und so treu auch für
unsere zeitliche Nahrung sorgt. Und obwohl er solches reichlich gibt und erhält, auch
den Gottlosen und Spitzbuben, will er doch, daß wir darum bitten, damit wir erkennen,
daß wir es von seiner Hand empfangen und darin seine väterliche Güte uns gegenüber
spüren. Denn wo er die Hand wegzieht, kann es auf die Dauer doch nicht gedeihen oder
erhalten werden, wie man wohl täglich sieht und fühlt. Was ist das jetzt für eine Plage in
der Welt mit den falschen Münzen, ja mit täglicher schwerer Last und Wucher im öf-
fentlichen Handel, bei Kauf und Arbeit von seiten derer, die nach ihrer Willkür die liebe
Armut bedrücken und ihr das tägliche Brot wegnehmen? Das müssen wir zwar ertragen,
sie aber mögen sich vorsehen, daß sie nicht das Kirchengebet verlieren
,
86
und sich hü-
ten, daß dieses Stück im Vaterunser sich nicht gegen sie wende.
Die fünfte Bitte
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
193
Dieses Stück betrifft nun unser armes, elendes Leben, das nicht ohne Sünde bleibt,
auch wenn wir Gottes Wort haben, glauben, seinen Willen tun und leiden und uns von
Gottes Gabe und Segen ernähren. So kommt es, daß wir noch täglich straucheln und
nicht Maß halten, weil wir in der Welt unter den Leuten leben, die uns viel zuleide
tun und Ursache geben zu Ungeduld, Zorn, Rache usw., dazu den Teufel hinter uns
haben, der uns auf allen Seiten zusetzt und gegen alle vorigen Stücke ankämpft, so
daß es nicht möglich ist, in solchem stetigen Kampf allezeit fest zu stehen. Darum ist
es hier abermals dringend notwendig, zu bitten und zu rufen: „Lieber Vater, vergib
uns unsere Schuld.“ Nicht, daß er nicht auch ohne unser und vor unserem Bitten die
Sünde vergeben würde. Denn er hat uns das Evangelium, in dem lauter Vergebung
ist, geschenkt, ehe wir darum gebeten oder jemals daran gedacht haben. Es handelt
sich aber darum, daß wir solche Vergebung erkennen und annehmen. Denn weil das
Fleisch, in dem wir täglich leben, von der Art ist, daß es Gott nicht traut und glaubt
und sich immerdar mit bösen Lüsten und Tücken regt, so daß wir täglich mit Worten
und Werken, mit Tun und Lassen sündigen, wodurch das Gewissen in Unfrieden
kommt, so daß es sich vor Gottes Zorn und Ungnade fürchtet und also den Trost und
die Zuversicht aus dem Evangelium sinken läßt, deshalb ist es unaufhörlich nötig, daß
man hierher läuft und sich Trost holt, um das Gewissen wieder aufzurichten.
194
Solches aber soll nun dazu dienen, daß uns Gott den Stolz breche und in der Demut
halte. Denn er hat sich das Vorrecht vorbehalten: Wenn jemand auf seine Rechtschaf-
fenheit pocht und andere verachtet, so soll er sich selbst ansehen und sich dies Gebet
vor Augen stellen; dann wird er finden, daß er ebenso rechtschaffen ist wie die ande-
ren, und alle müssen sie vor Gott die [stolzen] Federn niederschlagen und froh wer-
den, daß wir zu der Vergebung kommen. Und es denke nur niemand, solange wir hier
86 Sprichwörtliche Redensart: die allgemeine Achtung verlieren.
1...,387,388,389,390,391,392,393,394,395,396 398,399,400,401,402,403,404,405,406,407,...549
Powered by FlippingBook