Der Große Katechismus
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werde, zum zweiten, daß es auch durch den Glauben angenommen werde, in uns wirke
und lebe, damit dein Reich unter uns gehe durch das Wort und die Kraft des Heiligen
Geistes und des Teufels Reich vernichtet werde, so daß er weder Recht noch Gewalt
über uns habe, so lange, bis es endlich ganz zerstört ist und Sünde, Tod und Hölle ver-
tilgt werde, daß wir ewig leben in voller Gerechtigkeit und Seligkeit.“
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Daraus siehst du, daß wir hier nicht um ein Almosen oder ein zeitliches, vergängli-
ches Gut bitten, sondern um einen ewigen, überschwenglichen Schatz und um alles,
was Gott selbst vermag, das viel zu groß ist, als daß ein menschliches Herz solches
sich vorzunehmen wagte zu begehren, wenn er es nicht selbst geboten hätte, darum zu
bitten. Aber weil er Gott ist, will er auch die Ehre haben, daß er viel mehr und reichli-
cher gibt, als jemand begreifen kann, als ein ewiger, unvergänglicher Quell, der, je
mehr er ausfließt und überläuft, desto mehr von sich gibt und nichts Höheres von uns
begehrt, als daß man viele und große Dinge von ihm erbitte, und andererseits zürnt,
wenn man nicht getrost bittet und fordert. Denn es ist wie wenn der reichste, mäch-
tigste Kaiser einen armen Bettler aufforderte zu bitten, was er nur begehren möchte,
und bereit wäre, große, kaiserliche Geschenke zu geben, und der Narr nicht mehr als
eine Bettelsuppe erbitten würde. Dann würde man ihn zu Recht für einen verworfenen
Menschen und Bösewicht halten, der mit dem Befehl kaiserlicher Majestät seinen
Hohn und Spott triebe und nicht wert wäre, ihm vor seine Augen zu kommen. So
gereicht es auch Gott zu großer Schmach und Unehre, wenn wir, denen er soviel un-
aussprechliche Güter anbietet und zusagt, solches verachten oder uns nicht trauen, es
zu empfangen, und es kaum wagen, ihn um ein Stück Brot zu bitten. Das ist alles die
Schuld des schändlichen Unglaubens, der sich nicht soviel Gutes von Gott verspricht,
daß er ihm den Bauch ernährt, geschweige denn, daß er solche ewige Güter ohne Zwei-
fel von Gott erwartet. Darum sollen wir uns dagegen stärken und dies das erste sein
lassen, worum wir bitten, so wird man freilich auch alles andere reichlich haben, wie
Christus lehrt: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes, so soll euch solches alles zufal-
len“ (Mt 6, 33; Lk 12, 31). Denn wie sollte er uns an zeitlichen Gütern mangeln und
darben lassen, während er uns das Ewige und Unvergängliche verheißt?
Die dritte Bitte
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
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Bisher haben wir gebetet, daß sein Name von uns geehrt werde und sein Reich unter
uns vorangehe. In diesen beiden Bitten ist ganz erfaßt, daß wir, was Gottes Ehre und
unsere Seligkeit betrifft, Gott mit allen seinen Gütern zum Eigentum bekommen.
Aber hier ist nun ja so dringend notwendig, daß wir solches festhalten und uns davon
nicht wegreißen lassen. Denn wie es in einer guten Herrschaft nicht nur die geben
muß, die da aufbauen und gut regieren, sondern auch die da verteidigen, schützen und
entschieden darüber wachen, so ist es auch hier. Wenn wir schon um das Notwen-
digste gebeten haben, das Evangelium, den Glauben und den Heiligen Geist, damit er