Der Große Katechismus
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leben, es dahin zu bringen, daß er diese Vergebung nicht braucht. Alles in allem:
Wenn er nicht unaufhörlich vergibt, so sind wir verloren.
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So ist nun der Sinn dieser Bitte, daß Gott unsere Sünden nicht ansehen und uns vor-
halten möchte, was wir täglich verdienen, sondern mit Gnade gegen uns handeln und
uns vergeben wolle, wie er verheißen hat, und uns so ein fröhliches und unverzagtes
Gewissen gebe, um vor ihm zu stehen und zu bitten. Denn wenn das Herz nicht mit
Gott recht steht und solche Zuversicht schöpfen kann, so wird es nimmermehr wagen
zu beten. Solche Zuversicht aber und fröhliches Herz kann nirgends herkommen, es
sei denn, es weiß, daß ihm die Sünden vergeben sind.
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Es ist aber dabei ein nötiger und doch tröstlicher Zusatz angehängt: „wie wir
vergeben unsern Schuldigern“. Er hat es verheißen, damit wir sicher sein sollen, daß
uns alles vergeben und geschenkt ist, unter der Bedingung, daß wir auch unserm
Nächsten vergeben. Denn wie wir uns gegen Gott täglich hoch verschulden und er
doch aus Gnaden alles vergibt, also müssen auch wir unserm Nächsten immerdar
vergeben, wenn er uns Schaden, Gewalt und Unrecht tut, böse Tücke beweist usw.
Vergibst du nun nicht, so denke auch nicht, daß dir Gott vergibt. Vergibst du aber, so
hast du den Trost und die Sicherheit, daß dir im Himmel vergeben wird, nicht um
deines Vergebens willen, denn er tut es frei umsonst aus lauter Gnade, weil er es ver-
heißen hat, wie das Evangelium lehrt. Sondern er setzt uns solches zur Stärkung und
Sicherheit als Wahrzeichen neben die Verheißung, die mit diesem Gebet über-
einstimmt, Lukas 6 (v. 37): „Vergebt, so wird euch vergeben.“ Darum wiederholt sie
auch Christus bald nach dem Vaterunser und spricht Matthäus 6 (v. 14): „Denn wenn
ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater
auch vergeben“ usw.
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Darum ist nun ein solches Zeichen an dieses Gebet geheftet, daß, wenn wir bitten, wir
uns der Verheißung erinnern und so denken: „Lieber Vater, darum komme und bitte
ich, daß du mir vergeben mögest, nicht weil ich mit Werken genug tun oder verdienen
könnte, sondern weil du es verheißen hast und das Siegel daran gehängt hast, damit es
so gewiß sei, als hätte ich eine Absolution, von dir selbst gesprochen.“ Denn soviel,
wie die Taufe und das Abendmahl, die als äußerliche Zeichen aufgestellt sind, schaf-
fen, soviel vermag auch dieses Zeichen, unser Gewissen zu stärken und fröhlich zu
machen. Und es ist vor anderen eben darum aufgestellt, damit wir es alle Stunden
gebrauchen und üben können, da wir es allezeit bei uns haben.
Die sechste Bitte
Und führe uns nicht in Versuchung.
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Wir haben nun genug gehört, was für Mühe und Arbeit es kostet, das alles, worum
man bittet, zu erhalten und dabei zu bleiben, was dennoch nicht ohne Schwachwer-
den und Straucheln abgeht. Dazu, auch wenn wir Vergebung und gutes Gewissen