Der Große Katechismus
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geistlichen Dingen umgehen, das heißt die starken Christen, vom Teufel. Aber sol-
ches Fühlen, wenn es gegen unsern Willen ist und wir es lieber los wären, kann nie-
mandem schaden. Denn wenn man es nicht fühlen würde, könnte man es nicht An-
fechtung nennen. Einwilligen aber heißt, daß man ihm Zaum und Zügel überläßt,
nicht widersteht und dagegen bittet.
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Deshalb müssen wir Christen dazu gerüstet sein und täglich erwarten, daß wir unauf-
hörlich angefochten werden, damit niemand so sicher und unachtsam hingehe, als sei
der Teufel weit von uns, sondern müssen überall seine Schläge erwarten und sie pa-
rieren. Denn wenn ich jetzt auch sittsam, geduldig und freundlich bin und in festem
Glauben stehe, so kann der Teufel mir noch diese Stunde einen solchen Pfeil ins Herz
treiben, daß ich kaum bestehen kann. Denn er ist ein Feind, der nie abläßt oder müde
wird, so daß, wo eine Anfechtung aufhört, immer andere und neue aufgehen. Darum
ist kein Rat oder Trost, als hierher zu laufen, das Vaterunser zu ergreifen und von
Herzen mit Gott zu reden: „Lieber Vater, du hast mich aufgefordert zu beten, laß
mich nicht durch die Versuchung zurückfallen.“ Dann wirst du sehen, daß sie von dir
ablassen und sich endlich geschlagen geben muß. Sonst, wenn du mit deinen Gedan-
ken und deinem eigenen Rat versuchst, dir zu helfen, wirst du es nur schlimmer ma-
chen und dem Teufel mehr Raum geben. Denn er hat einen Schlangenkopf; wenn er
eine Lücke findet, in die er schlüpfen kann, folgt der ganze Leib unaufhaltsam nach.
Aber das Gebet kann ihn abwehren und zurücktreiben.
Die letzte Bitte
Sondern erlöse uns von dem Bösen,
Amen.
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Im Hebräischen
lautet das Stück so: „Erlöse oder behüte uns vor dem Argen oder
Boshaften“, und es sieht gerade so aus, als rede er vom Teufel, als wollte er alles dar-
in zusammenfassen, daß die ganze Summe aller Gebete sich gegen diesen unsern
Hauptfeind richtet. Denn er ist der, der dieses alles, worum wir bitten, unter uns hin-
dert: Gottes Namen oder Ehre, Gottes Reich und Willen, das tägliche Brot, ein fröh-
liches, gutes Gewissen usw. Darum fassen wir solches zum Schluß zusammen und
sagen: „Lieber Vater, hilf doch, daß wir all dieses Unglück los werden.“ Aber nichts-
destoweniger ist darin auch mit eingeschlossen, was uns Böses widerfahren mag unter
des Teufels Herrschaft: Armut, Schande, Tod und, kurz gesagt, aller unseliger Jam-
mer und Herzleid, das es auf Erden unzählig viel gibt. Denn der Teufel, weil er nicht
nur ein Lügner, sondern auch ein Totschläger ist, trachtet unablässig auch nach unse-
rem Leben und kühlt sein Mütchen, wo er uns zu Unfall und Schaden am Leib brin-
gen kann. Daher kommt es, daß er manchem den Hals bricht oder ihn um seinen Ver-
stand bringt, einige im Wasser ersäuft und viele dahin treibt, daß sie sich selbst um-
bringen, und zu vielen anderen schrecklichen Unfällen. Darum haben wir auf Erden
88 Bei Luther: „erlöse uns von dem Übel“; diese Übersetzung kritisiert er bereits sachlich, wie der obige Text zeigt.
89 Schreibfehler Luthers: es müßte „Im Griechischen“ heißen.