Das Augsburger Bekenntnis
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eine Handlung, die die Sünden der Lebenden und der Toten durch den Vollzug dieser
Handlung tilgt. Hier fing man an zu erörtern, ob denn eine für viele bestimmte Messe
ebensoviel bewirken könne wie einzelne Messen für einzelne. Diese Erörterung führte
zu jener grenzenlosen Zahl von Messen.
Av
[Ursprung des Mißbrauchs: Meß-„Opfer“ als Sühnemittel] Wir wollen aber auch erklären,
welcher Quelle diese Mißbräuche entstammen. Folgende Meinung verbreitete sich in der
Kirche: Das Mahl des Herrn sei ein Werk, das, vom Priester zelebriert, Vergebung der Sünden,
[Erlaß] von Schuld und Strafe erwirbt für den, der es vollzieht, und auch für andere, und zwar
durch den Vollzug des Werkes selbst, ohne eine gute Regung bei dem, der davon Gebrauch
macht. Ferner, den Toten zugewendet, gelte es als Genugtuung, das heißt, es erwerbe ihnen
einen Erlaß der Fegfeuerstrafen. So deuten sie das „Opfer“, wenn sie die Messe ein Opfer
nennen, als ein Werk, das nämlich, auf andere bezogen, diesen den Erlaß von Schuld und Strafen
erwirbt, und dies durch den Vollzug des Werkes selbst, ohne eine gute Regung dessen, der es in
Anspruch nimmt. So erklären sie, daß der Priester in der Messe eine Darbringung für Lebende
und Tote vornimmt.
Nachdem diese Überzeugung sich durchgesetzt hatte, lehrten sie alsbald die Menschen, sich
durch das Gut der Messe Vergebung der Sünden und Güter aller Art zu verschaffen, auch die
Toten durch das Gut der Messe von den Strafen zu befreien. Es kam auch nicht darauf an, von
was für Leuten die Messen gehalten wurden, weil sie lehrten, sie nützte anderen ohne gute
Regung in dem, der sie benutzt. Weiter fragte man, ob denn eine für viele bestimmte Messe
ebensoviel bewirken könne wie einzelne Messen für einzelne. Diese Erörterung hat sowohl die
Zahl der Messen als auch den Gewinn [aus ihnen] ins Unermeßliche gesteigert. Aber nicht über
den [materiellen] Gewinn disputieren wir jetzt; die Gottlosigkeit klagen wir an. Die Unseren
lehren nämlich, daß diese Ansicht vom Verdienst und der Zuwendung der Messe falsch und
gottlos sei. Das ist der Stand dieser Streitfrage, und unschwer gelangen die Frommen zum Urteil
in dieser Sache, wenn jeder die Argumente erwägt, die jetzt folgen.
[
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Rechtfertigung allein aus Glauben, denn Christus allein ist das Opfer] Zu diesen
Meinungen haben die Unsrigen daran erinnert, daß sie der Heiligen Schrift wider-
streiten und die Ehre des Leidens Christi verletzen. Denn Christi Leiden war ein Op-
fer und eine Genugtuung nicht nur für die Erbsünde, sondern auch für alle übrigen
Sünden, wie [im Brief] an die Hebräer geschrieben steht: „Wir sind geheiligt durch
das Opfer des Leibes Jesu Christi ein für allemal“ (Hebr 10, 10). [94] Ebenso: „Mit
dem einen Opfer hat er für immer vollendet, die geheiligt werden“ (Hebr 10, 14).
Av
[Rechtfertigung allein aus Glauben, denn Christus allein ist das Opfer] Erstens. Wir haben oben
gezeigt, daß die Menschen Vergebung der Sünden umsonst durch den Glauben erlangen, das
heißt, durch das Vertrauen auf die Barmherzigkeit um Christi willen. Also ist es unmöglich, daß
die Sündenvergebung eines fremden Werkes wegen erfolgt, und das ohne eine gute Regung, das
heißt, ohne eigenen Glauben. Diese Begründung widerlegt klar genug jene ungeheuerliche und
gottlose Meinung vom Verdienst und der Zuwendung der Messe.
Zweitens. Das Leiden Christi war ein Opfer und eine Genugtuung nicht nur für die Erbsünde,
sondern auch für alle übrigen Sünden, wie im Brief an die Hebräer (10, 10) geschrieben steht:
„Wir sind geheiligt ein für allemal durch das Opfer Jesu Christi.“ Ebenso: „Mit einem Opfer
hat er für immer vollendet, die geheiligt werden“ (Hebr 10, 14). Schließlich dient ein guter Teil
des Briefes an die Hebräer (Hebr 9–10) dazu, den Satz zu bekräftigen, daß allein das Opfer
Christi für andere die Sündenvergebung oder Versöhnung verdient hat. Er sagt, daß die leviti-
schen Opfer deshalb alljährlich wiederholt wurden, weil sie die Sünden nicht beseitigten. Durch