Die Bekenntnisschriften - page 52

Das Augsburger Bekenntnis
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Von der Beichte aber lehren sie, daß eine Aufzählung der Verfehlungen nicht not-
wendig sei und daß die Gewissen nicht mit der Sorge, [99] alle Sünden aufzuzählen,
zu beladen seien. Denn es ist unmöglich, alle Verfehlungen zu benennen, wie der
Psalm (19, 13) bezeugt: „Wer kennt die Verfehlungen?“, und Jeremia (17, 9): „Das
Herz des Menschen ist verkehrt und unergründbar.“ Wenn also keine Sünden außer
den ausdrücklich genannten vergeben würden, könnten die Gewissen niemals Ruhe
finden, weil sie die meisten Sünden weder bemerken noch [sich ihrer] erinnern können.
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Die persönliche Beichte: eine Wohltat, ohne Zwang zur Aufzählung aller Sünden] Weil aber
die Beichte den Ort für die persönliche Zueignung der Absolution bietet und der Ritus selbst ein
Verständnis der Schlüsselgewalt und der Sündenvergebung im Volk bewahrt, weil ferner jenes
Gespräch außerordentlich nützlich ist, um die Leute zu ermahnen und zu belehren, halten wir in
den Gemeinden sorgfältig fest an der Beichte. Doch geschieht dies so, daß wir lehren, die Auf-
zählung der Übertretungen sei nach göttlichem Recht nicht notwendig und man solle nicht die
Gewissen beschweren mit jener Aufzählung. Denn es gibt in den apostolischen Schriften kein
Gebot über diese Aufzählung. Auch ist das Hersagen aller Übertretungen unmöglich nach jenem
Psalmwort (19, 13) „Wer kennt die Verfehlungen?“ Ebenso sagt Jeremia (17, 9): „Das Herz des
Menschen ist verkehrt und unergründbar.“ Wenn keine Sünden außer den ausdrücklich genann-
ten vergeben würden, könnten die Gewissen niemals Ruhe finden, weil sie die meisten Sünden
weder bemerken noch sich ihrer erinnern können. Daraus kann man leicht ersehen, daß das Amt
der Lossprechung und die Vergebung nicht an die Bedingung der Aufzählung geknüpft ist.
Es bezeugen auch die alten Schriftsteller, daß jene Aufzählung nicht notwendig ist.
Denn in den Dekreten wird Chrysostomus zitiert, der so spricht: „Nicht sage ich dir,
daß du dich öffentlich preisgeben sollst; du sollst dich auch nicht gegenüber anderen
selbst beschuldigen. Aber ich will, daß du dem Propheten gehorchst, der sagt:
,Offenbare vor Gott deinen Weg‘ (Ps. 37, 5; Vulgata). Bekenne also deine Sünden bei
Gott, dem wahren Richter, mit Gebet. Bekunde deine Übertretungen nicht mit der
unge, sondern durch das Gedenken deines Gewissens.“
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Es bezeugen auch die alten Schriftsteller, daß die Aufzählung nicht notwendig ist. Chrysostomus
sagt nämlich in [einer Homilie zum] Hebräerbrief: „Seien wir doch überzeugt, daß wir gesün-
digt haben. Und das soll nicht nur die Zunge verkünden, sondern auch ganz innen das Gewissen.
Und wir sollen nicht nur sagen, wir seien Sünder, sondern uns auch die Sünden insonderheit
zurechnen. Nicht sage ich dir, daß du dich öffentlich preisgeben sollst; du sollst dich auch nicht
gegenüber anderen selbst beschuldigen. Aber ich will, daß du dem Propheten gehorchst:
,Offenbare dem Herrn deinen Weg‘ (Ps 37, 5). Vor Gott bekenne deine Sünden; bei dem wahren
Richter bekunde mit Gebet deine Übertretungen, nicht mit der Zunge, sondern durch das
Gedenken deines Gewissens, und dann erst hoffe, daß du Barmherzigkeit erlangen kannst.“
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Diese Predigt des Chrysostomus lehrt nicht nur, was von der Aufzählung zu halten ist, sondern
sie verbindet auch ganz gewichtig die Reue und den Glauben, so wie wir sie verbinden. Zuerst
gebietet er, daß wir die Sünden wirklich erkennen und sie von Herzen verwünschen. Dann lehrt
er, [CR 385] daß hinzukommen muß das Gebet und der Glaube, der feststellt, daß uns vergeben
wird. Und an einer anderen Stelle sagt er: „Du sollst deine Sünden sagen, damit du sie tilgst.
Wenn du dich schämst auszusprechen, was du gesündigt hast, so sage es täglich in deiner Seele.
Nicht sage ich, daß du sie einem Diener bekennen sollst, damit er dich tadelt. Sage sie Gott,
damit er sie heilt.“
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104 Chrysostomus († 407), Homilie 31 zum Hebräerbrief, zitiert nach dem Decretum Gratiani (Kirchenrechts-
sammlung des 12. Jahrhunderts).
105 Chrysostomus, Homilie 8: Über die Buße.
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