Das Augsburger Bekenntnis
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Aber Christus gebietet, [es] zu tun zu seinem Gedächtnis (Lk 22, 19). Daher ist die
Messe eingesetzt worden, um bei denen, die das Sakrament gebrauchen, an den Glau-
ben zu erinnern, der durch Christus Wohltaten empfängt und das angstvolle Gewissen
aufrichtet und tröstet. Denn das heißt, sich Christi zu erinnern: sich der Wohltaten zu
erinnern und zu merken, daß sie uns wahrhaftig zuteil werden. Es genügt aber nicht,
[nur] der Geschichte zu gedenken, denn an sie können auch die Juden und die Gottlo-
sen denken. Es ist also zu dem Zweck die Messe zu halten, damit dort das Sakrament
denen, die des Trostes bedürfen, gereicht wird, wie Ambrosius sagt: „Weil ich immer
sündige, muß ich immer das Heilmittel empfangen.
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Sechstens. Die Einsetzung des Sakraments streitet mit jenem Mißbrauch. Nichts wird nämlich
über die Opferung für die Sünden von Lebenden und Toten gelehrt, sondern es wird geboten,
daß man den Leib und das Blut des Herrn nehmen und daß dies zum Gedenken der Wohltat
Christi geschehen soll. „Gedenken“ aber bezeichnet nicht nur eine Vergegenwärtigung der Ge-
schichte wie bei einem Schauspiel, wie diejenigen träumen, die das Verdienst aufgrund des Voll-
zugs [der Messe] verteidigen. Sondern es bedeutet, im Glauben sich der Zusage und Wohltat
Christi zu erinnern, das Gewissen zu trösten und für die so große Wohltat Dank zu sagen. Der
Hauptgrund der Einsetzung ist nämlich, daß der Glaube da aufgerichtet und geübt werden soll,
wenn wir dieses Pfand der Gnade empfangen. Außerdem bestimmt die Einsetzung, daß Teilhabe
geschehen soll, das heißt, die Diener der Kirche sollen auch anderen den Leib und das Blut des
Herrn darreichen. Daß dieser Brauch auch am Anfang der Kirche gewahrt wurde, bezeugt
Paulus an die Korinther, der auch noch vorschreibt, daß die einen auf die anderen warten
sollen, damit ein gemeinsames Teilhaben geschehen kann (1. Kor 11, 33).
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Wiederherstellung der ursprünglichen Messe] Da aber die Messe eine solche Aus-
teilung des Sakraments ist, wird bei uns eine gemeinschaftliche Messe gehalten an
den einzelnen Sonntagen und dazu auch [95] an anderen Tagen, wenn Leute da sind,
die das Sakrament haben wollen, wo das Sakrament denen, die es erbitten, gereicht
wird. Dieser Brauch aber ist in der Kirche nicht neu. Denn die Alten vor Grego
erwähnen keine Privatmessen; sie sprechen meistens von der allgemeinen Messe.
Chrysostomu
sagt, daß „täglich der Priester beim Altar steht und die einen zur
Kommunion zuläßt, die anderen fernhält“. Und aus den alten Kirchengesetzen geht
hervor, daß einer die Messe zelebriert hat, von dem die übrigen Presbyter und Diako-
ne den Leib des Herrn empfangen haben.
So nämlich lauten die Worte des Nizäni-
schen Kirchengesetzes: „Die Diakone sollen der Ordnung gemäß nach den Presbytern
vom Bischof oder von einem Presbyter die heilige Kommunion empfangen.
Und
Paulus gebietet zur Kommunion, daß die einen auf die anderen warten sollen, damit
ein gemeinsames Empfangen stattfindet (1. Kor 11, 33).
97 Frei nach der dem Kirchenvater Ambrosius zugeschriebenen Schrift „De sacramentis“ [„Von den Sakramenten“],
Buch 5, Kap. 4.
98 Papst Gregor I. (Pontifikat 590–604).
99 Griechischer Kirchenvater († 407); Zitat frei nach der 3. Homilie zum Epheserbrief.
100 Nizänisches Konzil (325), Kanon 18.