Das Augsburger Bekenntnis
71
das Opfer Christi aber sei ein für allemal [CR 378] für die Sünden aller Genugtuung geleistet
worden. Diese Würde des Opfers Christi darf nicht auf das Werk des Priesters übertragen
werden. Ausdrücklich nämlich sagt er, durch ein einziges Opfer seien die Heiligen vollendet
worden (Hebr 10, 14). Überdies ist es gottlos, das Vertrauen, das sich auf das Opfer und die
Vermittlung des Hohenpriesters Christus selbst stützen muß, zu übertragen auf das Werk des
Priesters.
Drittens. Bei der Einsetzung des Abendmahls gibt Christus nicht den Auftrag, die Priester
sollten für andere Lebende und Tote opfern. Mit welcher Autorität also wurde dieser Kult als
Darbringung für Sünden in der Kirche eingeführt, ohne Gottes Gebot?
Noch viel ungereimter ist es, die Messe auf die Befreiung der Seelen der Toten zu beziehen.
Denn die Messe wurde zur Erinnerung eingesetzt, das heißt, die Teilnehmer am Herrenmahl
sollen durch Erinnerung an die Wohltat Christi ihren Glauben aufrichten und festigen und die
sehr erschrockenen Gewissen trösten. Die Messe ist auch keine Genugtuung für die Strafe,
sondern sie ist eingesetzt wegen der Vergebung der Schuld: Sie soll nicht eine Genugtuung für
die Schuld, sondern ein Sakrament sein, durch das die Teilnehmer an die Wohltat Christi und die
Vergebung der Schuld erinnert werden. Da also jene Anwendung des Herrenmahls auf die
Befreiung der Toten [aus dem Fegfeuer] keine Schriftautorität besitzt, vielmehr gegen die Schrift
erfolgt ist, ist sie zu verdammen als ein neuer und gottloser Kult.
Ebenso lehrt die Schrift, daß wir vor Gott gerechtfertigt werden durch den Glauben an
Christus. Wenn die Messe schon durch den Vollzug der Handlung die Sünden der
Lebenden und der Toten tilgt, geschieht die Rechtfertigung aufgrund des Werkes der
Messe, nicht aus Glauben – was die Schrift nicht duldet.
Av
Viertens. Eine Zeremonie ohne Glauben erwirbt im Neuen Testament nichts, weder dem Ausfüh-
renden noch anderen. Denn sie ist ein totes Werk gemäß dem Wort Christi: „Die wahrhaftigen
Anbeter werden den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit“ (Joh 4, 23). Dasselbe beweist
das ganze 11. Kapitel des Hebräerbriefes: „Durch den Glauben hat Abel ein besseres Opfer
gebracht“ (Hebr 11, 4), oder: „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen“ (Hebr 11, 6).
Also verdient die Messe keinen Erlaß von Schuld oder Strafe durch ihren Vollzug. Diese
Begründung widerlegt klar das Verdienst, wie sie es nennen, aufgrund des Vollzugs.
Fünftens. Durch den eigenen Glauben geschieht die Zuwendung der Wohltat Christi, wie
Paulus Römer 3 (v. 25) bezeugt: „Den hat Gott hingestellt als Sühnopfer durch den Glauben,
durch sein Blut.“ Und diese Zuwendung geschieht umsonst. Also erfolgt die Zuwendung nicht
durch ein fremdes Werk oder wegen eines fremden Werkes. Denn wenn wir die Sakramente
gebrauchen, so erfolgt durch unser Werk und unseren Glauben die Zuwendung, nicht durch ein
fremdes Werk. Wenn nämlich die Vergebung uns nur durch die uns zugewendeten Messen
erfolgen würde, würde sie ungewiß werden, und das Vertrauen müßte von Christus auf das Werk
des Priesters übertragen werden. Und das geschieht, wie feststeht. Nun aber ist eine Zuversicht,
die sich auf ein Menschenwerk richtet, verdammt.
Diese und viele andere Gründe bezeugen zwingend, daß die Meinung vom Verdienst und der
Zuwendung der Messe für Lebendige und Tote widerlegt ist. Wenn man bedenkt, wie weit dieser
Irrtum in der Kirche verbreitet ist, wie durch diese Überzeugung die Zahl der Messen ange-
wachsen ist, auf welche Art den Lebenden und Toten durch dieses Opfer ein Erlaß von Schuld
und Strafe versprochen wurde, dann wird klar, daß die Kirche wegen dieser Profanierung durch
schreckliche Sünden deformiert wurde. [CR 379] Niemals hat es, vortrefflichster Kaiser, in der
Kirche eine gewichtigere Sache gegeben, eine, die es mehr verdient hätte, daß gelehrte und treff-
liche Männer sorgfältig über sie beraten. Alle Frommen müssen mit brennendstem Verlangen
von Gott erbitten, daß die Kirche von diesen Sünden befreit wird. Alle Könige und Bischöfe müs-
sen mit allem Eifer danach streben, daß, nachdem diese ganze Angelegenheit gehörig erläutert
ist, die Kirche gereinigt werde.