Bündige Zusammenfassung strittiger Artikel
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Dagegen aber wird recht gesagt, daß Gott in der Bekehrung durch das Wirken des
Heiligen Geistes aus widerspenstigen, unwilligen Menschen willige macht und daß
nach einer solchen Bekehrung der wiedergeborene Wille des Menschen im täglichen
Bußetun nicht untätig ist, sondern in allen Werken des Heiligen Geistes, die er durch
uns tut, auch mitwirkt.
9. Ebenso [wird recht gesagt], daß, wenn D[octor] Luther geschrieben habe,
der
Wille des Menschen verhalte sich in seiner Bekehrung „pure passive“, das heißt, daß
er ganz und gar nichts tue, dies „respectu divinae gratiae in accendendis novis moti-
bus“ zu verstehen sei, das heißt, insofern der Geist Gottes durch das gehörte Wort oder
durch den Gebrauch der heiligen Sakramente den Willen des Menschen ergreift und
die neue Geburt und Bekehrung wirkt.
Denn wenn der Heilige Geist dies gewirkt
und ausgerichtet und den Willen des Menschen allein durch seine göttliche Kraft und
Wirkung geändert und erneuert hat, dann ist der neue Wille des Menschen ein Instru-
ment und Werkzeug Gottes, des Heiligen Geistes, so daß er nicht allein die Gnade
annimmt, sondern auch an den darauf folgenden Werken des Heiligen Geistes mit-
wirkt.
Vor der Bekehrung des Menschen also finden sich nur zwei wirkliche Ursachen,
nämlich der Heilige Geist und das Wort Gottes als das Instrument des Heiligen Gei-
stes, durch das er die Bekehrung wirkt und das der Mensch hören soll. Aber ihnen
kann er nicht aus eigenen Kräften, sondern allein durch die Gnade und Wirkung Got-
tes, des Heiligen Geistes, Glauben schenken und sie annehmen.
III. Von der Gerechtigkeit des Glaubens vor Gott
Die Hauptstreitfrage
Gemäß dem Wort Gottes und nach dem Inhalt der Augsburgischen Konfession wird in
unseren Kirchen einhellig bekannt, daß wir armen Sünder allein durch den Glauben an
Christus vor Gott gerecht und selig werden und deshalb allein Christus unsere Gerech-
tigkeit ist, welcher wahrer Gott und wahrer Mensch ist, weil in ihm göttliche und
menschliche Natur miteinander persönlich vereinigt sind, Jer 23 (v. 6); 1. Kor 1 (v. 30);
2. Kor 5 (v. 21). Daraufhin ist die Frage entstanden, nach welcher Natur Christus un-
sere Gerechtigkeit sei. Und so sind zwei einander widersprechende Irrtümer in etli-
chen Kirchen aufgekommen.
Denn die eine Seite hat gemeint, daß Christus allein nach der Gottheit unsere Ge-
rechtigkeit sei, wenn er durch den Glauben in uns wohnt. Dieser durch den Glauben
einwohnenden Gottheit gegenüber werde die Sünde aller Menschen wie ein Tropfen
Wasser im großen Meer angesehen. Andere haben dagegengehalten, Christus sei un-
sere Gerechtigkeit vor Gott allein nach der menschlichen Natur.
19 Luther, Vom unfreien Willen (1525).
20 Der vorangehende lateinische Satz lautet, wörtlich übersetzt: „in bezug auf die göttliche Gnade beim Erwecken
neuer Regungen [des Willens]“.