Die Bekenntnisschriften - page 122

Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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Deshalb [gilt]: Weil er uns die Gerechtigkeit anderswo ganz offenkundig abspricht,
darf man nicht meinen, er spreche hier über die persönliche Vollkommenheit einzel-
ner Menschen. Er spricht vielmehr über die gemeinschaftliche Ganzheit der Kirche.
Deshalb nämlich sagt er, die Liebe sei das Band oder die Verbindung, um zu zeigen,
daß er [hier] von der Verbindung und Verknüpfung mehrerer Glieder der Kirche
untereinander redet. Wie nämlich in allen Familien und Staatswesen die Eintracht
durch wechselseitige Dienstleistungen gefördert werden muß und der innere Friede
nur bewahrt werden kann, wenn die Menschen gewisse Fehler in ihrem Zusammen-
leben übersehen und vergeben: So will auch Paulus, daß in der Kirche die Liebe
herrscht, die die Eintracht wahrt und, wo immer das nötig ist, rauhere Sitten von
Brüdern erträgt und gewisse leichtere Fehler übersieht, damit die Kirche nicht in
verschiedene Spaltungen zerfällt und aus den Spaltungen Feindschaften, Parteien und
Sekten entstehen.
[205] Denn die Eintracht wird zwangsläufig zerstört, wenn die Bischöfe dem Volk
zu schwere Lasten auferlegen und kein Verständnis für die Schwachheit im Volk
aufbringen. Auch kommt es zu Trennungen, wenn das Volk zu scharf über den Le-
benswandel der Lehrenden urteilt oder ihrer wegen unerheblicher Schwächen über-
drüssig wird; denn dann sucht man bald nach anderen Lehren und Lehrern. Dagegen
wird die Vollkommenheit, d. h. die Ganzheit der Kirche bewahrt, [CR 488] wenn die
Starken die Schwachen ertragen, wenn das Volk bestimmte Unzulänglichkeiten im
Lebenswandel der Gelehrten auf sich beruhen läßt und die Bischöfe eine gewisse
Schwachheit des Volkes hingehen lassen. Von diesen Regeln der Billigkeit sind die
Bücher aller Weisen voll, damit wir in unsern Lebensgewohnheiten einander vieles
nachsehen um des gemeinen Friedens willen. Auch Paulus gibt hier wie auch sonst
oft Weisungen darüber.
[Gegner preisen die Liebe und verleugnen sie zugleich]
Daher folgern die Gegner fälschlich aus dem Begriff „Vollkommenheit“, die Liebe
rechtfertige – obwohl Paulus hier doch von der Ganzheit und vom gemeinsamen
Frieden spricht. So legt auch Ambrosius diese Stelle aus: „So wie man ein Gebäude
vollkommen und vollständig nennt, wenn alle Bauteile passend zusammengefügt
sind.
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Schändlich aber ist es für die Gegner, die Liebe so sehr zu preisen, obwohl
sie sie doch nirgends erweisen. Was tun sie jetzt? Sie entzweien die Kirche, schrei-
ben mit Blut [neue] Gesetze und legen sie dem Kaiser, dem allermildesten Herrn, zur
Inkraftsetzung vor. Sie ermorden Priester und andere gute Männer schon dann, wenn
einer nur beiläufig andeutet, daß er irgendeinen offensichtlichen Mißbrauch nicht
gänzlich billigt. Das paßt nicht zu ihren Lobreden auf die Liebe! Würden die Gegner
sie befolgen, so wären die Kirchen ruhig und der Staat befriedet. Denn diese Unruhen
würden verstummen, wenn die Gegner nicht so hart auf gewissen für die Frömmig-
keit unnützen Gebräuchen bestehen würden, deren meiste nicht einmal diejenigen
52 Bei Ambrosius oder ihm zugeschriebenen Werken (Ambrosiaster) nicht nachweisbar.
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