Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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[Gesetzeserfüllung und „Verdienst“ statt bleibender Mittlerschaft Christi?]
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Aus all dem ist auch zu ersehen, was vom „Verdienst aus Würdigkeit“ zu halten ist,
von dem die Gegner vorgeben, die Menschen seien vor Gott gerecht um der Liebe und
Gesetzeserfüllung willen. Hier bleibt die Glaubensgerechtigkeit unerwähnt, und an
die Stelle des Mittlers Christus tritt die Behauptung, wir seien um unserer Geset-
zeserfüllung willen angenommen. Dies ist unter keinen Umständen zu dulden. Viel-
mehr, wie wir oben gesagt haben: Obwohl die Liebe notwendig auf die Erneuerung
folgt, darf doch die Ehre Christi nicht auf unsere Gesetzeserfüllung übertragen wer-
den. Vielmehr muß man glauben, daß wir auch nach der Erneuerung um Christi wil-
len für gerecht gehalten werden, daß Christus der Mittler und Versöhner bleibt, daß
wir um Christi willen Zugang zu Gott haben, daß wir dem Gesetz nicht Genüge tun,
sondern der Barmherzigkeit bedürfen, [und] daß wir immer durch die Barmherzig-
keit für gerecht erklärt werden.
Das bekennt auch die ganze Kirche, daß wir gerecht und selig werden aus Barm-
herzigkeit. Wie wir oben aus Hieronymus zitiert haben: „Unsere Gerechtigkeit be-
ruht nicht auf eigenem Verdienst, sondern auf der Barmherzigkeit Gottes.
Diese
Barmherzigkeit aber wird durch den Glauben empfangen.
[Christus bringt nur die „erste Gnade“? Fatale Folgen dieser Meinung]
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Doch seht nur, was aus der These der Gegner folgt. Wenn man glauben muß, daß
Christus nur die „erste Gnade“, wie sie sagen, erworben hat, wir danach aber wegen
unserer Gesetzeserfüllung angenehm sind und das ewige Leben verdienen – wann
werden die Gewissen Frieden haben? [CR 520] Wann werden sie glauben, daß sie
einen gnädigen Gott haben? Denn das Gesetz klagt uns immer an, wie Paulus sagt:
„Das Gesetz wirkt Zorn“ (Röm 4, 15). So wird es geschehen, daß die Gewissen, wenn
sie das Urteil des Gesetzes gehört haben, in Verzweiflung fallen. Paulus schreibt:
„Was nicht aus dem Glauben kommt, das ist Sünde“ (Röm 14, 23). Sie aber werden
nie etwas aus Glauben tun, wenn sie erst dann meinen, daß Gott ihnen gnädig ist,
wenn sie das Gesetz erfüllt haben. Denn sie werden immer zweifeln, ob dem Gesetz
Genüge geschehen ist, vielmehr sehen, daß dies nicht geschehen ist. Deshalb werden
sie niemals glauben, daß sie einen gnädigen Gott haben, daß sie erhört werden. Also
werden sie Gott niemals lieben, niemals ihn wirklich verehren. Solche Herzen – was
sind die anderes als die Hölle selbst, da sie voller Verzweiflung und Haß auf Gott sind
und doch in diesem Haß Gott anrufen und ihm dienen, so wie Saul ihm gedient hat.
Hier appellieren wir an alle frommen und in geistlichen Dingen erfahrenen Men-
schen. Sie können bezeugen, daß diese Übel aus jener gottlosen Überzeugung unse-
rer Gegner folgen, welche meint, daß wir vor Gott für gerecht erklärt werden um
unserer eigenen Gesetzeserfüllung willen und [deshalb] will, daß wir nicht auf die
Verheißung der um Christi willen geschenkten Barmherzigkeit vertrauen, sondern auf
unsere Gesetzeserfüllung.
60 Hieronymus, Dialog gegen die Pelagianer, Buch 1, Kap. 13.