Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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selbst einhalten, die sie auf das heftigste verteidigen. Sich selbst verzeihen sie rasch,
anderen aber nicht, wie jener Mann beim Dichter: „‚Ich für mein Teil verzeihe mir‘,
sagt Maenius.“
Das aber ist ganz etwas anderes als diese Lobreden auf die Liebe,
die sie hier aus Paulus zitieren und doch nicht besser verstehen als die Wände eine
Stimme, die sie als Echo zurückwerfen.
[Zu 1. Petr 4, 8: „Liebe deckt auch der Sünden Menge“]
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[206] Aus dem 1. Brief des Petrus führen sie auch dieses Wort
an: „Die Liebe deckt
auch der Sünden Menge“ (1. Petr 4, 8). Es steht fest, daß auch Petrus von der Liebe
zum Nächsten spricht. Er fügt dieses Wort einer Weisung hinzu, in der er gebietet,
einander zu lieben. Unmöglich aber konnte es einem Apostel in den Sinn kommen,
daß unsere Liebe Sünde und Tod überwinde, daß sie die Sühne sei, durch die Gott
ohne den Mittler Christus versöhnt würde, daß sie die Gerechtigkeit sei ohne den
Mittler Christus. Denn diese Liebe, wenn es sie gäbe, wäre eine Gerechtigkeit des
Gesetzes, nicht des Evangeliums, das uns Versöhnung und Gerechtigkeit verheißt,
wenn wir glauben, daß um des Versöhners Christus willen der Vater versöhnt ist, daß
uns Christi Verdienste geschenkt werden. Darum gebietet uns Petrus kurz zuvor, daß
wir zu Christus treten, um auf ihm erbaut zu werden. Und er setzt hinzu: „Wer an ihn
glaubt, der soll nicht zuschanden werden“ (1. Petr 2, 6). Unsere Liebe rettet uns nicht
vor [CR 489] dem Zunichtewerden, wenn Gott uns richtet und verurteilt. Aber der
Glaube an Christus macht frei in diesen Ängsten, weil wir wissen, daß uns um Christi
willen vergeben wird.
Übrigens ist dieses Wort von der Liebe den Sprüchen Salomo entnommen, wo der
Gegensatz klar zeigt, wie es verstanden werden muß: „Haß erregt Hader; aber die
Liebe deckt alle Übertretungen zu“ (Spr 10, 12). Es lehrt ganz dasselbe wie jenes dem
Kolosserbrief entnommene Pauluswort, nämlich, daß, wenn es Streitigkeiten gibt, sie
durch unser Zubilligen und Zuvorkommen entschärft und beigelegt werden
sollen (Kol 3, 13). Konflikte, so schreibt er,
erwachsen
aus Haßgefühlen; wie wir oft
sehen, daß aus geringsten Anlässen die schrecklichsten Tragödien entstehen. Es wa-
ren nur Kleinigkeiten, über die sich Caesar und Pompeius zerstritten. Hätte nur einer
dem anderen ein wenig nachgegeben – es wäre nicht zum Bürgerkrieg gekommen.
Aber weil beide ihrem Haß die Zügel schießen ließen, entstand aus einer ganz unbe-
deutenden Sache der größte Aufruhr. Auch in der Kirche sind viele Sekten nur
aus
dem Haß
der Gelehrten
gegeneinander
entstanden. [207] Daher spricht er nicht von
den eigenen Verfehlungen, sondern von den fremden, wenn er schreibt: „Die Liebe
deckt Sünden zu“, nämlich fremde, und zwar zwischen Menschen. Das heißt: Ob-
wohl es Angriffe gibt, sieht doch die Liebe darüber hinweg, verzeiht, gibt nach und
treibt nicht alles rechtlich auf die Spitze.
53 Horaz, Satiren, Buch 1, Kap. 3, 23.
54 Nicht in der Konfutation, aber in anderen Schriften gegen die Reformatoren.