Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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nach Chrysippscher Weise einen großen Haufen auf:
Gute Werke sind die Leistung,
für die das ewige Leben geschuldet wird. Gute Werke tun dem Gesetz Gottes Genüge.
Und darüber hinaus können „überschüssige Werke“ vollbracht werden. Also nicht
nur können die Menschen dem Gesetz Gottes Genüge tun, sondern noch darüber
Hinausgehendes tun. Und weil die Mönche Überschüssiges tun, haben sie Verdienste
übrig. Und da Freigebigkeit bedeutet, anderen von dem abzugeben, was übrig ist,
darf man anderen jene Verdienste zueignen. Und sie fügen noch ein Sakrament die-
ser Schenkung hinzu: Sie ziehen den Toten Kutten an, um ihnen das Zeugnis zu ge-
ben, daß [ihnen] fremde Verdienste zugeeignet wurden. – Durch solche Anhäufungen
verdunkeln die Gegner die Wohltat Christi und die Glaubensgerechtigkeit.
Wir führen hier keinen sinnleeren Streit um ein Wort. Um eine wichtige Sache
streiten wir: Woher fromme Herzen die gewisse Hoffnung auf das Heil empfangen.
Ob gute Werke den Gewissen Frieden geben können. Ob sie glauben sollen, das ewi-
ge Leben zu erlangen, wenn sie dem Richtspruch Gottes gute Werke entgegenhalten,
oder aber, ob sie glauben müssen, daß sie um Christi willen aus Barmherzigkeit für
gerecht erklärt werden und das ewige Leben erlangen. – Um dies geht es im Streit.
Wenn das Gewissen ihn nicht entscheidet, kann es keinen starken und gewissen Trost
haben.
Wir haben aber deutlich genug gezeigt, daß gute Werke dem Gesetz Gottes nicht
Genüge tun, daß sie der Barmherzigkeit bedürfen, daß wir durch den Glauben
[CR 523] um Christi willen bei Gott angenehm sind, daß gute Werke kein friedliches
Gewissen geben. Aus all diesem folgt: Man muß wissen, daß die um Christi willen
Gerechtfertigten aus Barmherzigkeit, nicht des Gesetzes wegen, das ewige Leben
erlangen.
[Zutreffender Sinn des Lohngedankens: nicht Heilsgrund, sondern Ausgleich für Tun
und Leiden]
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Was also ist es mit dem „Lohn“? – Zunächst: Würden wir behaupten, das ewige Le-
ben werde „Lohn“ genannt, weil es den Gerechtfertigten einer Zusage wegen ge-
schuldet wird, so würden wir damit nichts Unsinniges sagen. Denn diese Gaben sind
unter sich geordnet. Wie auch Augustinus sagt: „Gott krönt seine Gaben in uns.
Doch nennt die Schrift das ewige Leben nicht deshalb einen „Lohn“, weil es um der
Werke willen geschuldet wird, sondern weil es einen Ausgleich für Anfechtungen und
Werke schafft, auch wenn es [uns] aus einem anderen Grunde zuteil wird. Wie [auch]
dem Sohn [einer Familie] das Erbe nicht seiner [erfüllten] Pflichten wegen zukommt;
und doch ist es ein Lohn und Ausgleich für die Sohnespflichten. Es genügt also, daß
die Bezeichnung „Lohn“ dem ewigen Leben deshalb zukommt, weil es einen
Ausgleich für die guten Werke und die Anfechtungen darstellt. Das ewige Leben ist
also nicht deshalb „Lohn“, weil die Werke genügen, [d. h.,] weil es für sie ge-
64 Chrysipp, Neubegründer der Stoa im 3. Jahrhundert v. Chr. Er war ein glänzender Dialektiker, galt aber
gleichzeitig auch als ein besonders schlechter Stilist, weil er oft wahllos Gründe und Zitate aufhäufte.
65 Augustinus, Von der Gnade und vom freien Willen, Buch 6, Kap. 9, 15.