Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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Werken zu verstehen wäre, und dann nicht einmal den von Gott gebotenen Werken,
sondern irgendwelchen von Menschen ersonnenen kalten Verpflichtungen. Und die
sollen den Tod tilgen, auch wenn sie im Zustand der Todsünde geschehen! Es ist
nicht zu sagen, mit welchem Schmerz wir diese Torheiten der Gegner zitieren. Wer
sie bedenkt, muß in Zorn geraten über diese Dämonenlehren, die der Teufel in der
Kirche verbreitet hat, um die Erkenntnis des Gesetzes und des Evangeliums, der
Buße, der Lebendigmachung und der Wohltaten Christi zu unterdrücken. Denn vom
Gesetz behaupten sie: Gott, der sich in unsere Niedrigkeit herabbegeben hat, habe
dem Menschen ein Maß dessen gesetzt, wozu er notwendig verpflichtet ist (gemeint
ist die Einhaltung der Gebote), um vom übrigen (d. h. von den überzähligen guten
Werken) für Verschuldetes Genüge leisten zu können.
Hier stellen sie sich vor, die Menschen könnten das Gesetz so erfüllen, daß wir so-
gar mehr, als es fordert, tun könnten. Aber die Schrift ruft überall mit lauter Stimme,
daß wir weit entfernt sind von jener Vollkommenheit, die das Gesetz verlangt. Sie
aber behaupten, das Gesetz Gottes gebe sich mit der äußerlichen und weltlichen Ge-
rechtigkeit zufrieden, und sehen nicht, daß es die wahre Liebe zu Gott aus ganzem
Herzen usw. verlangt und die ganze Begehrlichkeit in der Natur verdammt. [CR 562]
Deshalb tut niemand so viel, wie das Gesetz verlangt. Also ist es lächerlich, daß sie
behaupten, wir könnten mehr tun. Obwohl wir nämlich äußere Werke tun können, die
nicht durch Gottes Gesetz geboten sind, ist doch jenes Vertrauen, dem Gesetz Gottes
geschehe Genüge, eitel und gottlos. Auch wahre Gebete, wahre Almosen, wahres
Fasten sind von Gott geboten, und wenn sie es sind, können sie nicht ohne Sünde
unterlassen werden.
Soweit aber jene Werke nicht durch Gottes Gesetz geboten sind, sondern eine be-
stimmte Form aufgrund menschlicher Vorschrift haben, sind es Werke menschlicher
Überlieferungen, über die Christus sagt: „Vergeblich dienen sie mir mit Menschen-
geboten“ (Mt 15, 9), wie bestimmte Fasten, die [283] nicht zur Bändigung des Flei-
sches eingeführt wurden, sondern um durch dieses Werk Gott Ehre zu erweisen, wie
Scotu
sagt, und den ewigen Tod abzugelten. Ebenso sollen eine bestimmte Zahl
von Gebeten, eine bestimmte Art von Almosen, wenn sie so geschehen, daß diese
Form durch den bloßen Vollzug ein Gottesdienst ist, Gott Ehre erweisen und den
ewigen Tod abgelten. Sie schreiben diesen nämlich durch den bloßen Vollzug die
Genugtuung zu, denn sie lehren, daß sie auch bei denen wirksam sind, die sich im
Zustand der Todsünde befinden. Noch weiter von diesen Geboten Gottes weichen die
Pilgerfahrten ab, die es in großer Vielfalt gibt: Der eine macht den Weg gepanzert,
der andere auf bloßen Füßen. Solche Dinge bezeichnet Christus als unnütze Gottes-
dienste, weshalb sie nicht dazu taugen, Gottes Zorn zu versöhnen, wie die Gegner
behaupten. Und doch schmückt man diese Werke mit großartigen Titeln: Man nennt
sie „überzählige Werke“, legt ihnen den Ruhm bei, ein Lösegeld für den ewigen Tod
zu sein. So zieht man sie den Werken der Gebote Gottes vor. Auf diese Weise wird
Gottes Gesetz zweifach verdunkelt: Einmal, weil man meint, dem Gesetz Gottes sei
113 Duns Scotus († 1308), Sentenzenkommentar, Buch 4, Distinktion 15, Frage 1, Art. 5.