Die Bekenntnisschriften - page 219

Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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[(3) Ehe als Heilmittel gegen Unzucht; Seltenheit der Gabe der Enthaltsamkeit]
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Drittens. Paulus sagt: „Um Unzucht zu vermeiden, soll jeder seine eigene Frau ha-
ben“ (1. Kor 7, 2). Dies ist bereits ein ausdrückliches Gebot, das alle betrifft, die nicht
zum Zölibat geeignet sind. Die Gegner wollen, daß man ihnen ein Gebot zeigt, das
den Priestern zu heiraten gebietet – so als wären die Priester keine Menschen. Wir,
die wir allgemein über die Natur der Menschen sprechen, urteilen, daß das tat-
sächlich auch die Priester betrifft. Oder gebietet Paulus hier etwa nicht, daß die, die
nicht die Gabe der Keuschheit besitzen, heiraten sollen? Denn er legt sich kurz dar-
auf selbst aus, indem er schreibt: „Es ist besser zu heiraten als in Flammen zu ste-
hen“ (1. Kor 7, 9). Und Christus hat deutlich gesagt: „Dies Wort fassen nicht alle,
sondern nur die, denen es gegeben ist“ (Mt 19, 11). Weil nun aber nach dem Sünden-
fall dies beides in eins fällt, das natürliche Verlangen und die Begierde, die das na-
türliche Verlangen in Brand setzt, so daß die Ehe noch nötiger wird als in der unver-
sehrten Natur, [337] deshalb spricht Paulus von der Ehe als von einem Heilmittel und
befiehlt, jener Brände wegen zu heiraten. Und dieses Wort: „Es ist besser zu heiraten
als in Flammen zu stehen“ (1. Kor 7, 9), können keine menschliche Autorität, kein
Gesetz, keine Gelübde aufheben, weil sie nicht die Natur oder die Begierde aufheben.
Deshalb haben alle, die brennen, das Recht zu heiraten. Und dieses Gebot des Paulus:
„Der Unzucht wegen soll jeder seine eigene Frau haben“ (1. Kor 7, 2), verpflichtet
alle, die sich nicht wirklich enthalten [können]. Das Urteil darüber ist Sache des
Gewissens jedes einzelnen.
Denn wenn sie hier verlangen, von Gott Enthaltsamkeit zu erflehen, wenn sie for-
dern, den Leib durch Arbeiten und Hungern zu kasteien – warum singen sie sich die-
se großartigen Gebote dann nicht auch selbst vor? Doch wie wir oben gesagt haben,
spielen die Gegner nur, nichts tun sie ernsthaft. Wenn die Enthaltsamkeit allen mög-
lich wäre, bedürfte es keiner besonderen Gabe. Aber Christus zeigt, daß sie einer
besonderen Gabe bedarf, weshalb sie nicht allen zuteil wird. Von den übrigen will
Gott, daß sie nach dem allgemeinen Naturgesetz leben, das er verordnet hat. Denn
Gott will nicht, daß seine Ordnungen [und] seine Geschöpfe verachtet werden. Er
will, daß jene in der Weise keusch leben, daß sie sich des von Gott angebotenen
Heilmittels bedienen, so wie er will, daß wir unser Leben nähren, wenn wir Speise
und Trank zu uns nehmen. Und Gerso
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bezeugt, daß es viele treffliche Männer
gab, die versuchten, ihren Leib zu zähmen, und dabei doch nicht viel erreicht haben.
[CR 601] Deshalb sagt Ambrosius mit Recht: „Allein die Jungfräulichkeit ist etwas,
das empfohlen, aber nicht befohlen werden kann; sie ist mehr Sache eines Gelübdes
als eines Gebotes.“
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Wenn jemand hier einwenden würde, Christus lobe die, die sich
um des Himmelreiches willen selbst kastrieren, so möge er auch dies bedenken, daß
er solche lobt, die die Gabe der Enthaltsamkeit haben. Deshalb nämlich hat er
hinzugesetzt: „Wer es fassen kann, der fasse es!“ (Mt 19, 12). Denn Christus gefällt
die unreine Enthaltsamkeit nicht. Auch wir loben die echte Enthaltsamkeit. Aber jetzt
173 Gerson († 1429), Über den Zölibat, Kap. 3.
174 Ambrosius, Ermunterung zur Jungfräulichkeit, Kap. 3, 17.
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