Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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sprechen wir vom Gesetz und von denen, die die Gabe der Enthaltsamkeit nicht be-
sitzen. Die Sache muß frei bleiben; es dürfen den Schwachen durch dieses Gesetz
keine Fallstricke übergeworfen werden.
[(4) Päpstliches Zölibatsgesetz widerspricht Konzilsbeschlüssen]
[338] Viertens. Das päpstliche Gesetz weicht von den Bestimmungen der Konzilien
ab. Denn die alten Bestimmungen verbieten nicht die Ehe, lösen auch bereits ge-
schlossene Ehen nicht auf, auch wenn sie diejenigen, die sie während der Zeit des
Priesterdienstes geschlossen haben, von dessen Ausübung ausschließen. Diese Ent-
lassung war zu jenen Zeiten eher eine Wohltat. Aber die neuen Bestimmungen, die
nicht auf Synoden beschlossen wurden, sondern durch den persönlichen Ratschluß
von Päpsten zustande kamen
verbieten, Ehen zu schließen, und lösen bereits be-
stehende auf. Das aber geschieht ganz offen gegen das Gebot Christi: „Was Gott
zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden!“ (Mt 19, 6). Die Gegner
schreien in der Konfutation laut, der Zölibat sei von den Konzilien vorgeschrieben
worden. Wir fechten die Konzilsbeschlüsse nicht an, denn diese gestatten unter
bestimmter Bedingung die Ehe; aber wir fechten die Gesetze an, die nach den alten
Synoden die römischen Bischöfe gegen die Autorität der Synoden erlassen haben. So
sehr verachten die Päpste die Autorität der Synoden, die sie anderen doch als unver-
letzlich erscheinen lassen wollen. Dieses Gesetz vom immerwährenden Zölibat ist
also ein ganz eigenes Merkmal dieser neuen päpstlichen Herrschaft. Und das nicht
von ungefähr. Denn Daniel hat dieses Merkmal (nämlich Verachtung der Frauen) dem
Reich des Antichrist zugeordnet (Dan 11, 37).
[(5) Widerlegung abergläubischer Reinheitsvorstellungen]
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Fünftens. Obwohl die Gegner das Gesetz nicht des Aberglaubens wegen verteidigen
(da sie sehen, daß es für gewöhnlich nicht eingehalten wird), bringen sie doch, indem
sie Frömmigkeit vortäuschen, abergläubische Meinungen in Umlauf. Sie behaupten,
den Zölibat deshalb zu fordern, weil er die Reinheit sei – als ob die Ehe Unreinheit
und Sünde wäre, oder als ob der Zölibat
Sündenvergebung und Versöhnung verdien-
te, die Ehe aber nicht die Sündenvergebung usw. verdiente.
Und sie führen in diesem
Zusammenhang die Zeremonien des mosaischen Gesetzes an: Da unter dem Gesetz
die Priester während der Zeit ihres Dienstes von ihren Frauen getrennt waren, [339]
müsse der Priester im Neuen Testament, weil er immer beten muß, sich auch immer
enthalten. Diese unpassende Entsprechung wird [CR 602] wie ein Beweis aufgeführt,
der die Priester zu einem ständigen Zölibat zwinge, obwohl doch in der Entsprechung
selbst die Ehe gestattet und nur während der Zeit des Dienstes der Verkehr untersagt
wird. Auch ist es eine Sache zu beten, eine andere, [Priester-]Dienste zu tun. Die
Heiligen beteten auch dann, wenn sie keinen öffentlichen Dienst ausübten; auch hin-
derte sie der Verkehr mit ihren Frauen nicht daran zu beten.
175 Gemeint sind wahrscheinlich päpstliche Verordnungen aus den Jahren 1054 (Leo IX.) und 1059 (Nikolaus II.),
die von der römischen Fastensynode 1074 (Gregor VII.) wieder aufgenommen wurden.