Die Bekenntnisschriften - page 222

Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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Zuletzt: Wenn sie den Zölibat deshalb als Reinheit verstehen, weil er die Rechtfer-
tigung eher verdiene als die Ehe, so widersprechen wir ganz entschieden. Denn wir
werden weder der Jungfräulichkeit noch der Ehe wegen, sondern umsonst um Christi
willen gerechtfertigt, wenn wir glauben, daß wir seinetwegen einen gnädigen Gott
haben. Hier werden sie vielleicht lautstark einwenden, daß nach der Art Jovinians
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die Ehe der Jungfräulichkeit gleichgestellt werde. Aber um dieses Geschreis willen
werden wir nicht die Wahrheit von der Glaubensgerechtigkeit verwerfen, die wir
oben dargelegt haben. Auch stellen wir die Jungfräulichkeit der Ehe keineswegs
gleich. Denn wie eine Gabe die andere übertrifft (die Prophetie übertrifft die Bered-
samkeit, die Kriegskunst übertrifft die des Ackerbaus, die Beredsamkeit übertrifft die
Baukunst), so ist die Gabe der Jungfräulichkeit vortrefflicher als die Ehe. Und den-
noch gilt: [341] Wie der Redner seiner Beredsamkeit wegen vor Gott nicht gerechter
ist als der Architekt seiner Baukunst wegen, so verdient auch die Jungfrau durch ihre
Keuschheit die Rechtfertigung nicht eher als die Ehefrau durch ihre ehelichen
Pflichten. Sondern ein jeder soll nach seiner Gabe treulich dienen und urteilen, daß er
um Christi willen durch den Glauben die Sündenvergebung erlangt und durch den
Glauben vor Gott für gerecht erklärt wird.
Weder Christus noch Paulus loben die Enthaltsamkeit deshalb, weil sie rechtfertigt,
sondern, weil sie ungehinderter ist und weniger durch häusliche Beschäftigungen vom
Beten, Lehren, Dienen abgehalten wird. Deshalb sagt Paulus: „Wer ledig ist, der sorgt
sich um die Sache des Herrn“ (1. Kor 7, 32). Die Enthaltsamkeit wird also wegen der
Besinnung und des Studiums gelobt. So lobt Christus nicht einfach diejenigen, die
sich selbst kastrieren, sondern fügt hinzu: „um des Himmelreichs willen“ (Mt 19, 12),
d. h., daß man Zeit hat, das Evangelium zu lernen oder zu lehren. Denn er sagt nicht,
die Keuschheit verdiene die Sündenvergebung oder das Heil.
Auf die Beispiele der levitischen Priester antworten wir: Sie beweisen nicht, daß
den Priestern ein immerwährender Zölibat auferlegt werden muß. Ferner sind die
levitischen Unreinheiten nicht auf uns zu übertragen. [Ehelicher] Verkehr wider das
Gesetz war damals eine Unreinheit. Jetzt aber ist er keine Unreinheit, weil Paulus
sagt: „Den Reinen ist alles rein“ (Tit 1, 15). Denn das Evangelium befreit uns von
jenen levitischen Unreinheiten. Wenn aber jemand das Zölibatsgesetz in der Absicht
verteidigt, durch jene levitischen Auflagen die Gewissen zu beschweren, so muß ihm
ebenso widerstanden werden, wie die Apostel Apg 15 [CR 604] denen widerstanden,
die die Beschneidung forderten und den Christen das Gesetz des Mose auferlegen
wollten (Apg 15, 10 f.).
[Verantwortlicher Gebrauch statt Herabsetzung der Ehe]
Inzwischen werden die guten Menschen beim ehelichen Umgang aber doch das rechte
Maß zu halten wissen, besonders wenn sie mit öffentlichen Ämtern betraut sind, die
den guten Männern oftmals so viel zu schaffen machen, daß sie sich alle familiären
176 Altkirchlicher Asket († vor 406), dem als Irrlehrer vorgeworfen wurde, daß er die Verdienste des mönchischen
Lebens bestritt.
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