Die Bekenntnisschriften - page 223

Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
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Gedanken aus dem Sinn schlagen müssen. [342] Die guten Menschen wissen auch,
daß Paulus Weisung gibt, „das Gefäß in Heiligkeit zu besitzen“ (1. Thess 4, 4). Sie
wissen ebenso, daß sie sich manchmal enthalten müssen, um Muße für das Gebet zu
haben; aber Paulus will nicht, daß dies für immer geschieht (1. Kor 7, 5). Solche
Enthaltsamkeit fällt nun den Guten und Beschäftigten leicht. Aber jener große
Schwarm müßiger Priester, die in den Stiftsgemeinschaften leben, kann, wie die
Erfahrung zeigt, bei diesen Üppigkeiten nicht einmal die levitische Enthaltsamkeit
einhalten. Und wohlbekannt sind die Verse: „Dem Müßiggang pflegt jener Knabe zu
folgen, er haßt die Tätigen“ usw
.
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Viele Ketzer, die das Gesetz des Mose falsch verstanden hatten,
dachten verächt-
lich von der Ehe. Von dieser Art waren die Enkratiten
, von denen wir oben gespro-
chen haben. Und es ist bekannt, daß die Mönche überall abergläubische Reden über
den Zölibat ausgestreut haben, die viele fromme Gewissen in bezug auf den recht-
mäßigen Gebrauch der Ehe verwirrt haben; es fiele uns nicht schwer, an Beispiele zu
erinnern. Denn wenn sie die Ehe der Fortpflanzung wegen auch nicht gänzlich ver-
dammten, so tadelten sie sie doch als eine Lebensweise, die Gott kaum jemals gefiele
oder gewiß nur um der Fortpflanzung willen gefiele. Den Zölibat aber hoben sie als
eine gleichsam engelhafte Lebensweise empor. Sie behaupteten, er sei ein Gott höchst
angenehmes Opfer, verdiene die Sündenvergebung, verdiene Heiligenscheine, bringe
hundertfältige Frucht und dergleichen ohne Ende. Diese „Engelverehrungen“
mißbilligt Paulus im Kolosserbrief sehr (Kol 2, 18). Sie unterdrücken nämlich die
Erkenntnis Christi, weil die Menschen meinen, sie würden derartiger Kulte wegen,
nicht um Christi willen für gerecht gehalten. Ferner unterdrücken sie die Erkenntnis
der Gebote Gottes, weil abseits der Gebote Gottes neue Kulte erdacht und den Gebo-
ten Gottes vorgezogen werden. Deshalb muß man in der Kirche diesen abergläubi-
schen Meinungen vom Zölibat ganz entschieden widerstehen, sowohl, damit die
frommen Gewissen wissen, daß die Ehe Gott gefällt, als auch, damit sie erkennen,
welche Gottesdienste Gott gutheißt.
[CR 605] [343…] Aber unsere Gegner fordern den Zölibat nicht aus Aberglauben;
sie wissen nämlich, daß die Keuschheit für gewöhnlich nicht bewahrt werden kann.
Sie wenden vielmehr die abergläubischen Auffassungen vor, um Unerfahrene zu
täuschen. Daher sind sie verabscheuungswürdiger als die Enkratiten, die einem
Schein von Frömmigkeit zum Opfer gefallen zu sein scheinen. Jene Sardanapaliten
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aber mißbrauchen den Vorwand der Frömmigkeit mit Bedacht.
[(6) Zölibatsgesetz verursacht schlimme Ärgernisse und grausame Sanktionen]
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Sechstens. Obwohl wir so viele Gründe haben, das Gesetz über den immerwährenden
Zölibat zu verwerfen, kommen doch außerdem auch noch die Gefährdungen der
Seelen und die öffentlichen Ärgernisse hinzu, die, selbst wenn das Gesetz nicht unge-
177 Ovid, Remedia amoris 149.
178 Altkirchliche Asketen, die den Fleisch- und Weingenuß sowie den leiblichen Vollzug der Ehe verwarfen. – Die
ursprüngliche Fassung des Textes enthielt entsprechende Erläuterungen.
179 Sardanapal, der Sage nach letzter König der Assyrer, Inbegriff der Üppigkeit und Dekadenz.
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